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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Gesinnungsschnüffelei und totaler Humorlosigkeit. Verwirklicht von einem kleinen Beamten. Kyselak war der Geist aus der Flasche. Einen Geist – ist er mal aus der Flasche raus – kann man nicht kontrollieren.
    Es ist sehr zu empfehlen, daß jedermann, Österreicher wie Nichtösterreicher, wenigstens einmal in seinem Leben den Namen »Kyselak« in eine Wand, auf eine Türe, eine Scheibe oder in den Tisch seines Vorgesetzten ritzt. Oder wenigstens auf ein beliebiges Dokument, eine Unterschriftenliste oder in ein Bibliotheksbuch notiert. Denn auch dieser Name funktioniert ähnlich wie eine Weltmaschine. Solange derartiges geschieht, hört die Welt nicht zu atmen auf.
    Angeblich geht Kyselaks Treiben auf eine Wette zurück, nach welcher er innerhalb von drei Jahren zu einer Berühmtheit aufsteigen wollte, was ihm ja tatsächlich gelang. Doch ich halte diese Version für zweifelhaft. Die kolportierte Wettgeschichte erscheint mir bloß als der Versuch, einer verwirrenden, weil scheinbar sinnlosen Handlung einen verstehbaren Zweck zu unterlegen. Kyselak hat sich ja nicht einmal als Künstler aufgespielt. Er war kein Andy Warhol seiner Zeit. Künstler instrumentalisieren das Sinnlose. Nicht so Kyselak. Er tritt ganz hinter seine Tat zurück. Und verschwindet im Licht des eigenen Namens.
    Weil nun aber auch die Österreicher hin und wieder eine Schublade aufmachen, wird Josef Kyselak im Biographischen Lexikon des Kaiserthums Österreich als »Sonderling« aufgeführt, also als Spezial- oder Sonderfall des Allgemeinen. Und es ist mehr als ein Klischee, wenn ich meine, daß im Österreichischen die Grenze zwischen konventionellen Bürgern und Sonderlingen mitunter schwer zu ziehen ist. Das heißt nicht, daß in Österreich per se Verrückte hocken und sich merkwürdigen Obsessionen hingeben. Aber die ständige Nähe zum Grotesken, zur gelebten Satire, zur faktischen Komödie oder auch bloß zur außergewöhnlichen Idee ist schon sehr auffällig. Und diese Nähe wird eben nicht nur von gesellschaftlich relevanten Personen gesucht und gefunden.
    Ein großer Sonderling unserer Tage ist für mich der 1938 geborene Dreifachdoktor und Devianzforscher Rolf Schwendter, welcher neuerdings auch ein Präsident ist (es gibt Leute, die meinen, zum Präsidenten sei man von Anfang an geboren, und wenn einer es dann also wird, erfülle sich ein mysteriöser Plan). Schwendter ist ein Gelehrter, ein Künstler, ein Organisator, eine Erscheinung — und er ist berüchtigt für seine Kochkünste, deren Resultate einige Leute als ausgesprochen fettig und nicht immer gut verdaulich definiert haben. Aber wahrscheinlich ist Schwendter eine Art Medizinmann, wozu gut paßt, daß er gerne einer Kindertrommel massive Laute entlockt. Personen, die nicht wissen, wer dieser Mann ist, könnten ihn auch für einen Sandler halten, also einen Unterstandslosen, was mit dessen etwas schluderiger Kleidung, einer wenig schreckhaften Präsentation seines Körperumfangs und der Benutzung von Plastiksackerin anstatt Aktentaschen zusammenhängt. Allerdings hat die Benutzung von Kunststofftüten für gebildete Zwecke, also den Transport von Büchern und Manuskripten, eine gewisse Tradition, die wiederum die Ornamentbedürftigkeit gerade der Intellektuellen verdeutlicht. Tatsächlich sind diese Sackerln in all ihren Farben, mit ihren Emblems und Sprüchen und Mustern sehr viel attraktiver und markanter – sehr viel mehr kyselakesk – als banale Ledertascherln oder gar die peinlichen Rollköfferchen derer, die in die große, weite Welt drängen und es ja doch nur ins nächste Holiday Inn schaffen. Leute jedoch von echter Bedeutung verfügen über eine Gravität, die mitunter nur von zwei mit Büchern prall gefüllten Plastiksackerln in der Waage gehalten werden kann. Die Reißfestigkeit mancher dieser Behältnisse ist Legende.
    Daß Rolf Schwendter nicht wie der Dr. Dr. Dr. Rolf Schwendter aussieht, der er ist, meinen nur die, welche Akademiker mit Badeenten verwechseln, welche also immer gelb sind und immer quietschen. Schwendter ist keine Ente, sicher nicht, allerdings präsentiert er seine Argumente und Thesen unter Anwendung eines ausgesprochen professoralen Tonfalls. Auch dieser Tonfall – jedes Wort dreht sich planetenartig um sich selbst – hat eine große Tradition (deren leicht komischer Höhepunkt bei Albert Paris Gütersloh und Heimito von Doderer zu finden ist), eine Tradition, die so stark ist, daß auch wirkliche Sandler ihn nicht selten beherrschen.

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