Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
Nach einem Gesicht. Und für den Österreicher ist nun mal ein glattes Gesicht kein Gesicht (eigentlich eine sympathische Haltung).
    Wenn man an »Signatur« denkt, muß man den Namen Kyselak erwähnen, den Ahnherr all jener, die ihre Namen auf die Wände der Städte sprühen und daraus eine Kunst machen, die mindestens so dekorativ ist wie eine Gefängnishaustapete (Loos prophezeite, es werde eine Zeit kommen, in der die Einrichtung einer Zelle durch den Hoftapezierer Schulze oder den Professor van de Velde als Strafverschärfung gilt).
    Josef Kyselak wurde 1795 oder 1799 geboren, wobei es nach meiner Theorie »echter« Doppelgänger und »unechter« Zwillinge gut möglich ist, daß beide Geburtsdaten stimmen. Denn auch in Kyselaks Fall würde eine Doppelgängerschaft so manches Phänomen erklären. Darum muß auch der ohnehin nicht ganz gesicherte Todestag 17. September 1831 als bloß ein möglicher angesehen werden. Wahrscheinlich starb unser Josef Kyselak nicht nur einmal, sondern mehrmals und zu verschiedenen Anlässen.
    Herrn Kyselak darf man als einen Surrealisten des Alltags bezeichnen, der mit selbstverständlicher Nonchalance und ernstem Witz eine kleine Manie zur großen Tat kultivierte, indem er seinen Namen (des öfteren mit einem vorangesetzten »i.«) bzw. den Schriftzug »Kyselak war hier!« auf künstliche und natürliche Architekturen, auf Gebäude, Wände, Säulen und Felsen kritzelte, mitunter auch ritzte und mit Farbe versah, äußert akkurat, und angeblich auch eine Schablone zum Einsatz brachte. Dies unternahm er einerseits in seiner Funktion als Bergsteiger und Reisender, dann wiederum als sicherlich nicht ungebildeter, wenngleich subalterner Registratur-Accessist, der auf dem Weg zur und von der Arbeit an so mancher Stelle vorbeikam, die geradezu danach bettelte, eine Beschriftung zu erhalten. — Alle Dinge wollen signiert werden. Eben nicht nur Grabsteine und Kunstwerke und Gesellschaftsverträge. Es ist eine schöne, aber leider aussterbende Tradition, wenn sorgsame Hausfrauen in Stoffservietten und Handtücher, in Bettlaken und Unterwäsche Initialen oder ganze Namen einsticken. Mit Textilien, die solcherart gekennzeichnet werden, wird sehr viel sorgfältiger umgegangen. Wirft man sie weg, ist das, als würde man einen Teil von sich selbst entsorgen. Als verstoße man eine Fingerkuppe. Was man freilich nicht tun wird. Das wissen die Dinge und sehnen sich darum nach einer Signatur, einer individuellen Kennzeichnung. Denn auch die Dinge wollen nicht verstoßen werden.
    Indem Herr Kyselak seinen Namen an vielen Orten des Landes (und sogar außerhalb davon) verewigte, hat er nicht zuletzt einen ewigen Anspruch zum Erhalt dieser Plätze und Orte gesetzt. Natürlich haben Krieg und Zerstörung und Stadtentwicklung und Wind und Wetter diesem Anspruch entgegengewirkt, aber wichtig ist die Symbolkraft der übriggebliebenen Kyselakschen Markierungen, etwa auf einem Obelisken im Wiener Schwarzenbergpark oder auf Kletterwänden in diversen Gebirgen. Es verwundert dabei gar nicht, daß bis heute immer wieder neue Funde auftauchen, die auf Nachfolger und Anhänger Kyselaks verweisen, manchmal auch als »Kisselak« geschrieben. Ich selbst habe auf der Außenwand der Stuttgarter Hauptbücherei – passenderweise handelt es sich um ein königliches Palais – ein eingeritztes KYSELAK entdeckt, wobei es sich höchstwahrscheinlich um eine zeitgenössische Wandeintragung handelt, um die Tat eines Kyselakisten.
    Und erneut erfüllt sich der Tatbestand des Ornaments, obgleich es sich bei den Kyselakschen Interventionen natürlich um ironische und anarchische Ornamente handelt. Um einen Widerspruch als solchen, einen poetischen Vandalismus, eine Geste frei von offenkundigem Sinn, frei von Zweck und Propaganda. Dazu paßt die wunderbare Anekdote, nach welcher Kaiser Franz I. seinen Beamten Kyselak zu sich berief, um ihm die Verschandelung von Gebäuden und Objekten zu untersagen. Selbstverständlich versprach Kyselak dem Monarchen, sich zu bessern. Nachdem er aber den Raum verlassen hatte, entdeckte man, in den kaiserlichen Schreibtisch eingraviert, Kyselaks Namen plus Datum (es ist auch von einem Aktendeckel oder von einer Schreibunterlage die Rede — egal!). – Ich kenne keinen schöneren Akt eines stillen Aufbegehrens, diesen Triumph des Persönlichen über die feudale Macht. Und dieser Triumph ergab sich noch dazu in einer Epoche scharfer Kontrolle und übler Repressalien, in einer Epoche verordneter

Weitere Kostenlose Bücher