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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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schön ziehen können.
    Daß Rolf Schwendter zu denen gehört, deren »schlampiges Außeres« beim ungeübten Betrachter den Verdacht aufkommen läßt, es handle sich um eine unterprivilegierte Existenz, bringt mir in Erinnerung, daß einer der größten Dichter des angloamerikanischen Raums, der Schöpfer von Zeitalter der Angst, W. H. Auden, von 1957 bis zu seinem Tod 1973 den Sommer in seinem Haus im niederösterreichischen Kirchstetten verbrachte. Dort liegt er auch begraben. Sein Haus ist heute Gedenkstätte. Und die Kirchstettener müssen sich geradezu »dichterisch« Vorkommen, weil ja auch Josef Weinheber an diesem Ort lebte und starb. Welcher übrigens von Auden gerne in Schutz genommen wurde, wenn die Sprache auf Weinhebers Liebäugeln mit dem Nationalsozialismus kam (in der Tat ein typisch österreichisches Liebäugeln, mit praktisch nur einem Auge, während das andere auf die apolitische Natur gerichtet ist, die apolitische Liebe, den apolitischen Wein etc., weshalb die Österreicher — weltanschaulich gesehen — gerne schielen).
    Es muß damals ein merkwürdiges Gefühl für die Kirchstettener gewesen sein, diesen früh verrunzelten, kokoschkaartig holzschnittschädeligen, draußen in der Welt hochberühmten englischen Dichter unter sich zu wissen, welcher da mit seinem Lebensgefährten Chester Kallmann den Sommer Niederösterreichs und den Herbst des eigenen Lebens genoß und sich auch immer wieder einen Strichjungen aus Wien kommen ließ, der wiederum seine Freundin mitnahm. Das wird den Leuten wohl nicht ganz geheuer gewesen sein, aber berühmt ist berühmt, und ein Dichter ist ein Dichter, weshalb erzählt wird, daß man Auden vom Wiener Westbahnhof abholen ließ, auf daß nicht etwa ein ungebildeter Wiener Polizist auf die Idee kam, den Poeten wegen dessen vernachlässigten, sandlerartigen Aussehens einer peinlichen Befragung zu unterziehen. In einem Originaldokument hört sich das wirklich an, als müßte man eben Kirchstettener sein, um einen Obdachlosen von einem bohemienhaft legeren Dichterfürsten zu unterscheiden. Und es ist mehr als rührend, wie zu Audens Geburtstag ein Kirchstettener Mädel, ein Gedicht aufsagend, ihm einen Blumenstrauß überreicht und er sich in seinem schönen, weichen britischen Deutsch dafür bedankt. — Natürlich, das ist bloß die halbe Wahrheit. Aber es ist nun mal das Prinzip der Idylle, immer nur die bessere Hälfte von etwas zu sein.
    Audens Sonderstellung war die des willkommenen oder wenigstens halb willkommenen »Aliens«. Viel härter ist es natürlich, ein Sonderling im eigenen Nest zu sein.
    Man sagt ja gerne, Österreich bestehe in erster Linie aus Musik. Die Musik sei das Schloß, in dem ganz Österreich residiert. Zu Schlössern wiederum gehören natürlich ebenso Gespenster. Und unter den Gespenstern brillieren in erster Linie die Schreckgespenster. Das Schreckgespenst der österreichischen Musik ist die Zwölftonmusik, bis heute, weil dies ja zu Gespenstern gehört, die Zeit zu überdauern.
    Freilich hat das zwölftönige Gespenst zwischenzeitlich einen hübschen Glanz erhalten. Auch wurden die Exponenten der »zweiten Wiener Schule«, Schönberg, Webern, Berg, Eisler, zwar zu Lebzeiten immer wieder stark angefeindet, aber ihnen waren auch Erfolg und Anerkennung beschieden. Sie wurden wahrgenommen und verkörperten keine Sonderlinge, sondern dandyhafte Extremisten. Sie waren die Herzschrittmacher der Musikgeschichte und zogen ihre Errungenschaften traditionsbewußt aus dem Trog der Wiener Klassik.
    Diese Anerkennung – dieses Uber-das-Österreichische-in-die-Welt-Vordringen — blieb einem anderen Zwölftöner verwehrt, welcher statt dessen in ein Zwischenreich geriet, den von Isolation und einer gewisser Paranoia bestimmten Raum der verkannten Eigenbrötler (wobei Paranoia in der Regel nichts anderes ist als die berechtigte Verstärkung eines berechtigten Gefühls). Josef-Matthias-Hauer-Platz, so heißt der nach dem Komponisten benannte Platz im achten Wiener Bezirk, ein Platz, der immerhin eins der schönsten und lebendigsten Kaffeehäuser von Wien beherbergt, das Hummel, das sehr viel bessere Inszenierungen bietet als das weiter unten gelegene Theater in der Josefstadt.
    Geboren wurde Hauer 1883 in Wiener Neustadt, dem zweitschlimmsten Ort von Österreich. Die Uraufführung seiner ersten Sinfonie fand in St. Pölten statt, dem schlimmsten Ort. Darum heißt es auch in einem der Kottan-Filme: »Wenn du stirbst, bist du nicht einfach tot; du bist

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