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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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freigelassen. Die ganze Geschichte sollte den Anstrich eines rein kriminellen Aktes besitzen, um den darauf folgenden Fahndungsdruck so gering wie möglich zu halten. Aber es stellte sich heraus, daß auch Österreich ein klein wenig in den deutschen Herbst geraten war. Die Bewegung 2. Juni hatte sich an österreichische Aktivisten gewandt, um eine Geldbeschaffungsaktion zu initiieren. Was nicht minder typisch war, daß nämlich Deutsche den österreichischen Raum für ein »bloßes Theater« mißbrauchten und das politische Element, das sie sonst immer betonten, hier zu verbergen versuchten. Und darum ja einen Mann entführten, der zwar reich war, aber in keiner Weise als ideologisches Ziel herhalten konnte. Man bedenke: Unterwäsche und Strumpfware. Eine Farce.
    Es kam zu Verhaftungen und zu Verurteilungen. Aber es fehlte der »Glanz« echter Bedrohung, wie man das bei anderen Kriminalfällen erlebt hatte, nicht zuletzt eingedenk des Überfalls auf die OPEC durch den charismatischen, spielfilmartig auftretenden »Superterroristen« Carlos (welcher vom österreichischen Innenminister mit Handschlag verabschiedet wurde, weil sich das so gehört und vernünftigerweise eine gute Stimmung schafft). Wobei ganz grundsätzlich über jedem österreichischen Kriminalfall ein Hauch von »Kottan« liegt, ein Nebel des Komischen, der das Fürchterliche umgibt und die Konturen verwischt.
    Und genau jene Firma Palmers, die mit ihrem waldgrünen Geschäftdesign, den uniformen Verkäuferinnen und den so überaus beliebten Geschenkmünzen lange Zeit auf Tradition setzte und nicht zuletzt darauf, daß auch und gerade konservative Damen ihren Körper an erster Stelle mit Unterwäsche umgeben, dieses Unternehmen also bescherte Mitte der achtziger Jahre den Österreichern eine Art »sexuelle Initialzündung«, nämlich dadurch, daß man eine Plakatserie entwickelte, die in einer bis dahin ungekannten Freizügigkeit halbnackte Damen (und dann auch halbnackte Herren) in aufreizenden Posen präsentierte. Selbige Models, die über giraffenartig lange Beine verfügten, waren allein bekleidet mit Dessous und Strumpfwaren, die wie hingehaucht anmuteten, die Nacktheit weniger verdeckend als sie verstärkend. Nackter als nackt. Wie ja etwa das Farbenkleid gewisser Schlangen und Frösche selbige nicht tarnt, sondern vielmehr überdeutlich und warnend auf die eigene Giftigkeit verweist.
    Am Beginn dieser bis heute sich fortsetzenden Plakatgeschichte stand der Widerstand einer damals noch kämpferisch veranlagten Emanzipationsbewegung, die einen Sexismus anprangerte, der hier selbstbewußt und riesenhaft von den Wänden des Landes lächelte: der Sexismus als Formel. — Heute ist das derart selbstverständlich, daß wir den Sexismus bereits mit dem Sex verwechseln und die Emanzen von damals meinen, sie hätten den Kapitalismus ausgehebelt, indem sie Palmers-Unterwäsche tragen. Seinerzeit hingegen gab es wütende Proteste, Sprühaktionen, heftige Fernsehdiskussionen (und natürlich ob dieser Erregung glückliche Marketingstrategen). Es war wie mit Thomas Bernhard oder dem Hrdlicka-Denkmal am Judenplatz oder dem Atomkraftwerk Zwentendorf oder dem Herrenreiter Waldheim – man konnte nur dafür oder dagegen sein. Dazwischen herrschte eine absolute Leere, in welcher noch so schöne und gescheite Sätze auseinanderbröckelten.
    Nun, Palmers hat sich durchgesetzt. Es ist nicht zu ändern: Die Verarschung des weiblichen Körpers durch einige Manager (sowie ein paar Fotokünstler, die wahrscheinlich zu oft Michelangelo Antonionis Blow Up gesehen haben), diese Ummünzung des Erotischen in die Ästhetik der Tiefkühltruhe, diese Verwechslung von »Barbarella« mit »Barbie« hat sich tief in unser Bewußtsein gefressen. Die Emanzen sind derweilen nur noch damit beschäftigt, einen Weg zu finden, um nicht auf ihre Kinder aufpassen zu müssen. Die sexuelle Revolution ist dank »verführerischer Dessous« bei den Kleinbürgern angekommen. Jedes private Heim sein eigenes Sexstudio. – Man kann das alles natürlich für lustig oder sekundär halten, aber das Sekundäre ist gerade in Österreich von entscheidender und prägender Bedeutung. Und genau so ist auch der berühmte, vielzitierte, doch zu Unrecht belächelte Ausspruch von Hans Krankl zu verstehen: »Wir müssen gewinnen, alles andere ist primär.« Die österreichische Sprache ist die Verwandlung des Hochdeutschen in etwas Raffiniertes und Hinterfotziges, nicht selten Elegantes, Doppelbödiges und

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