Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
Sarkastisches. Jedenfalls sollte man als Ausländer gewisse Wörter oder Formulierungen nicht als die Fehler interpretieren, als die sie scheinen. Oder meinen, Österreicher seien zu blöd, zwischen primär und sekundär zu unterscheiden.
Die Österreicher lieben Begriffspaare, etwa Schuld & Unschuld, Religion & Freizeit, Traum & Wirklichkeit, Sport & Kunst, Sinn & Verbrechen, vor allem aber Genie & Wahnsinn. Und weil sich jeder ein bißchen für ein Genie hält, meint auch jeder, ein wenig Anspruch auf den Wahnsinn zu haben, aber natürlich im Rahmen des Erträglichen und des Gesetzlichen. Wer darüber hinausgeht, wer sozusagen zu viele Teile seines Genies aus seinem Wahnsinn bezieht, ist entweder ein Künstler, ein Sonderling oder sitzt folgerichtig im Irrenhaus. Das Irrenhaus wiederum ist für den Österreicher ein weiterer Spiegel, durch den man tiefer in das Innere des eigenen Wesens Vordringen kann. Daraus ergibt sich ein gewisser Irrenhauskult, durchaus vergleichbar jener klischeebildenden Liebe zum Tod. Der Österreicher möchte ja gar nicht tot sein, aber er möchte darüber reden, darüber schwadronieren, dem Tod mit bösem Witz begegnen, ihn im Ornament fixieren, solcherart kontrollieren. Und so, wie man den Tod redend und fabulierend zu beherrschen meint, glaubt man auch, indem man ständig über Irrenhäuser und ihre Bewohner erzählt und spekuliert, die eigenen Psychosen und Phobien einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Der Österreicher ist sich selbst Psychiater, von Therapie allerdings hält er wenig. Er möchte gar nicht gesund werden, weil er durchaus erkennt, wie wichtig die »Geisteskrankheit« für seine Kreativität, seinen originellen Umgang mit dem Leben ist.
So wie die Österreicher gerne auf Friedhöfe gehen, um ihre Toten zu besuchen, gehen sie auch gerne in Irrenhäuser, um jene zu besuchen, die den Wahnsinn, wie es scheint, ein bißchen übertrieben haben. Weil aber, wie erwähnt, die »Übertreibung« ein Allgemeingut darstellt, fühlen sich die Besucher an solchen Orten hin- und hergerissen zwischen Anziehung und einer vernunftbedingten Abgrenzung. Zwischen Irrenhausromantik und einem gewissen Schaudern. Es ist, als würde man auf sein eigenes Hirn sehen und als hätte dieses Hirn große Ähnlichkeit mit Franz Gsellmanns Weltmaschine.
Ich halte es für sehr bezeichnend, daß eine der wesentlichsten Beiträge Österreichs zur bildenden Kunst des auslaufenden zwanzigsten Jahrhunderts jene Werke darstellen, die von den Bewohnern des »Haus der Künstler« geschaffen wurden. Dieses Gebäude war Teil der Landesnervenheilanstalt Maria Gugging, eine an den Rand des Wienerwalds gebettete Klinik nahe Klosterneuburg, bevor es sich im Jahre 2000 von der Krankenhausverwaltung löste und heute als die Keimzelle eines Kulturzentrums besteht. Hier hat der Psychiater Leo Navratil aus zunächst rein therapeutischen Gründen begonnen, seine Patienten zu animieren, ihren Innenwelten einen äußeren Ausdruck zu verleihen, Zeichnungen herzustellen, und zwar unter der Assistenz des Arztes. Daraus entwickelte sich ein kunsttherapeutisches Zentrum, ein eigenes Haus, eine kleine Männeridylle, ein vom Kunstargument zusammengehaltenes Kollektiv (es scheint, als müßten eben auch die Irren eine Leistung vollbringen, um Hauseigentümer zu werden).
Das Schöne daran war nun, daß nicht nur zwei Navratilsche Standardwerke daraus resultierten — Schizophrenie und Kunst und Schizophrenie und Sprache —, sondern vor allem bildnerische Arbeiten von originärer Gestaltungskraft, frei von Vorbildern, autark, auf eine verschlüsselte Weise direkt, den Strudel von seinem Ursprung her begreifend. Es ist mehr als verständlich, daß diese Schöpfungen zunächst Profikünstler und Literaten interessierten, also Leute, die durchaus auf Inspirationsquellen, auf Vergleiche und Einordnungen angewiesen sind. Sodann folgte das Interesse des Marktes und eines größeren Publikums. 1970 fand eine erste Ausstellung in der Galerie des Monsignore Otto Mauer statt, heute sind Werke der »Gugging-Künstler« in den großen Museen der Welt vertreten und erzielen hohe Preise bei internationalen Auktionen. Da wären etwa die Zeichnungen des Franz Kernbeis, beschwingte Maschinen, August Wallas Weltsalat, Johann Garbers hocherotischer Futzelkosmos, die Kuhbilder des Franz Kamlander, Rudolf Limbergers Übermalungen (wahre Rainerarien), und natürlich die Busenwunder des Johann Hauser sowie Oswald Tschirtners
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