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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Roten Armee und der Nationalen Volksarmee wurden, sind keine Seltenheit. Wenn die Bundeswehr sie übernommen hat und weiterhin nutzt wie in Strausberg, hat die Stadt ein Auskommen. Ist das nicht der Fall wie in Jüterbog, wird die Stadt zur Schale um einen hohlen Kern. 1815 wurde Jüterbog preußisch. In den Folgejahren entwickelte sich das Städtchen im Fläming zu einem zentralen Militärstandort, besaß den ersten Schießplatz Deutschlands, Artillerie-Schießschulen, eine Militäreisenbahn und war zu der Zeit, als man noch mit Zeppelinen den Luftraum beherrschen wollte, einer der wichtigsten Stützpunkte der Militärluftfahrt. Die Stadt war so auf die Armee ausgerichtet, dass jede andere Entwicklung stagnierte. Als 1994 die letzten Soldaten aus Jüterbog abgezogen wurden und die umliegenden Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften eingegangen waren, hinterließen sie zehntausend Hektar Militärfläche und eine funktionslose Stadt.
    Auch Perleberg in der Prignitz, einst großer Truppenstandort der sowjetischen Armee und der Grenztruppen der NVA, hat nach dem Ende seiner dreihundertjährigen Militärgeschichte noch nicht ganz in eine neue Rolle gefunden. Die Cafés und Feinkostgeschäfte werden von Menschen geführt, die vorher Mähdrescher bedient haben oder in der Verwaltung der Armee arbeiteten, die Ingenieure waren oder Facharbeiter mittlerweile ausgemusterter Berufszweige. Jetzt versuchen sie gezwungenermaßen, beim Schwenk, den die Stadt in Richtung Tourismus macht, mitzuschwenken. Sie machen dafür schon die notwendigen Bewegungen und haben die richtigen Schilder ins Schaufenster gehängt, nur mit den Inhalten kommen sie noch nicht hinterher. Im Spezialgeschäft für Kaffee, Tee und Schokolade kam der Kappu (die verunstaltende Bezeichnung für Cappuccino ist in diesem Fall verdient) aus einem jener Automaten, die alles in lauwarmes Maggiwasser verwandeln, und die heiße Schokolade war der Aufguss aus einer Fertigtüte. Beim angeblichen Italiener hätte ich nach dem Eis aus Zucker, Wasser und einem rätselhaften chemischen Gaumenkampfstoff einen ordentlichen Schuss Insulin vertragen können. Aber es ist anzunehmen, dass Perleberg über seine neue Rolle schon heftig kommuniziert. In der Fußgängerzone jedenfalls gibt es so viele Handygeschäfte, dass jeder der knapp zwölftausend Einwohner mehrere dieser Geräte besitzen muss.
    In berühmten Garnisonsstädten wie Neuruppin oder Rheinsberg, die einst vom frischen Geist eines noch nicht ganz erwachsenen Kronprinzen (Friedrich II.) durchweht wurden, sieht es etwas anders aus. Nach dem Abzug der Roten Armee sind aus ihnen brandenburgische Vorzeigestädte geworden. Es gibt breite Straßen mit herrschaftlichen Häusern, großzügig angelegte Plätze und Anlegestellen am See. Rheinsberg hat ein Schloss, inspirierte Kurt Tucholsky zu einem schwebend-leichten »Bilderbuch für Verliebte« und beherbergt zum Gedenken an diesen klugen und heiteren Autor jährlich zwei Schriftsteller, die sich ihrerseits wiederum von der Stadt inspirieren lassen sollen. Neuruppin inspirierte Gustav Kühn im 19. Jahrhundert zu seinem Neuruppiner Bilderbogen . Und die Stadt hat Parzival. Parzival ist eine glänzende Edelstahlfigur, die über den Neuruppiner See hinweg dem Husarengeneral Joachim von Zieten in die verblichenen Augen sieht. Der General hatte am anderen Seeende in Wustrau sein Gutshaus und war das Urbild vom wehrhaften märkischen Adligen, der Hof und Land in treuer Pflichtergebenheit verlässt, um sich für Preußens Glanz und Gloria in die Schlacht zu werfen. Zur NS-Zeit war sein Anwesen dann SS-Führerquartier. Mittlerweile hat es die Richterakademie bezogen.
    Parzival, so will es der Künstler, soll friedliche Zeiten heraufbeschwören, Zeiten, die Brandenburg in seiner Geschichte nicht allzu oft erlebt hat. Gelassenheit gehört in diesem Landstrich nicht gerade zur einfachsten Übung. Der Mangel an natürlichen Ressourcen scheint eher für ständige Spannungen zu sorgen, die sich nicht selten kriegerisch entladen. Neuruppin hat sich also Großes vorgenommen. Die Stadt will zu einem Flair zurückfinden, das sie in ihrer Geschichte bereits einmal hatte. Kronprinz Friedrich soll in Neuruppin eine heitere und unbeschwerte Zeit erlebt haben. Das dürfte ihm nach seiner Inhaftierung in der Festung Küstrin nicht schwergefallen sein. Auf Befehl seines Vaters hatte er in Isolationshaft gesessen und zusehen müssen, wie seinem engsten Freund und Liebling, dem

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