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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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weltläufigen und intelligenten Fähnrich Hans Hermann Katte, der Kopf abgeschlagen wurde. Die beiden hatten versucht, nach England zu fliehen, nachdem Friedrich den militärischen Drill und die Härte am Potsdamer Hof nicht mehr ausgehalten hatte. Wahrscheinlich hatte er auch keine Lust mehr, jeden Tag Gefahr zu laufen, mit einer Gardinenkordel vom Vater erdrosselt zu werden. Der Plan flog auf. Die Jungen wurden festgenommen. Das Todesurteil Friedrich Wilhelms galt zunächst für beide. Erst, als der Kaiser intervenierte, musste sich der Soldatenkönig etwas anderes einfallen lassen, um seinen Sohn »den Klauen des Satans« zu entreißen, womit er wohl auch dessen homoerotische Neigungen meinte. Er verlangte ihm einen Unterwerfungseid ab, der Sohn warf sich vor ihm in den Staub.
    Folgsam geworden, durfte der Kronprinz in Neuruppin sein erstes Infanterieregiment befehligen. Mithilfe des Taschengeldes aus der Hand von Prinz Eugen, einem mächtigen Minister am Kaiserhof, widmete er sich aber vor allem der Kunst und den Wissenschaften. Friedrich finanzierte musikalische und literarische Salons, richtete sich eine umfangreiche Bibliothek ein, kam einem anderen schönen jungen Mann namens Fredersdorf näher und sorgte dafür, dass Preußen heute nicht ausschließlich mit Drill, sondern auch mit Aufgeklärtheit assoziiert wird, mit gutem Geschmack und dem friderizianischen Rokoko, mit der Gesetzgebung eines modernen Staates und mit fortschrittlichen Ideen von einem zivilen Zusammenleben.
    Zur letzten Jahrtausendwende fand die sogenannte XY-Bande, dass jetzt lange genug zivil zusammengelebt worden sei. Die Kleinstadtgangster kurvten mit noblen Karossen übers Kopfsteinpflaster Neuruppins und versorgten Landtagsabgeordnete, Bürgermeister, die Polizei und Vorstandsvorsitzende wichtigster Unternehmen mit Kokain und osteuropäischen Frauen. Wer etwas dagegen hatte, wurde bestochen, und wer dennoch nicht vom preußischen Ethos abzubringen war, wurde erpresst. Als der Anführer, ein junger Draufgänger, der vom Nachtklubbesitzer zum Stadtverordneten der CDU aufgestiegen war, verhaftet wurde, hatte die Stadt längst den Beinamen »Märkisches Palermo« bekommen – kürzer auch »Korruppin« – und dafür gesorgt, dass der »wilde Osten« der Nachwendezeit nicht leeres Gerede blieb. Theodor Fontane, gebürtiger Neuruppiner, hätte sich gefreut. Er hatte der Stadt schon einmal bescheinigt, dass sie sich einen Rock geschneidert habe, der ihr zu groß sei.
    Bei meinen ersten Besuchen erschien mir die Stadt eng und dunkel, geprägt von Verfall, der nach der Wende alles im Land gleichmachte. Später tauchte die Schönheit der frühklassizistischen Häuser unter der Trostlosigkeit auf. Das Up-Hus-Idyll, eines der originellsten Hotels in Brandenburg, war zu Wendezeiten eine Ruine. Die heutigen Eigentümer steckten ihre zehntausend gesparten Ostmark risikofreudig in das alte Gebäude. Heute schläft man zwischen kunstvoll sanierten Wänden in alten Truhenbetten. Konzerte finden in der dazugehörigen Kapelle statt, im Restaurant loben Gäste aus ganz Deutschland die Speisekarte. Und im nahe gelegenen Weinhaus an einem von alten Bäumen umstandenen Platz fühlte ich mich so französisch, dass ich mit dem frankophilen Kronprinzen leicht hätte parlieren können.
    Auch die Landeshauptstadt Potsdam hat sich den Dorn des Militärs so gut wie ausgerissen. Aus den Kasernen in der Innenstadt, in ehemaligen Sperrgebieten der Nauener Vorstadt und Neubabelsberg sind originelle Wohnungen, teure Lofts und Verwaltungsgebäude geworden, oder sie werden von der Fachhochschule genutzt. Der rote Stern ist abgekratzt, der Stacheldraht wurde entsorgt, die Truppen der Roten Armee, die ein Drittel Potsdams besetzt hielten, sind längst abgezogen. Die ehemals verbotene Stadt, in der der KGB bis in die Sechzigerjahre ein gefürchtetes Gefängnis eingerichtet hatte, in dem auch Hinrichtungen stattfanden, ist mittlerweile ein begehrtes Villenviertel. Aus dem Untersuchungsgefängnis der Stasi mitten in der Fußgängerzone wurde eine Gedenkstätte. Rund um Potsdam liegen Parks und Naturschutzgebiete. Nur in Geltow bei Potsdam, aufdringlichen Blicken entzogen, ist das Einsatzführungskommando der Bundeswehr stationiert. Von hier aus werden die Auslandseinsätze koordiniert und kommandiert wie ISAF, EUFOR, KAFOR und die deutschen Beteiligungen an Missionen der UN.

Großer Stolz und kleine Städte
    Die Welt ist eine Platte, die sich im Kreise dreht. /Mit Melodien

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