Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
in Kiesgruben zu baden, in die sowjetische Armisten diese Panzer gelegentlich hineinlenkten, um sie zu waschen, oder in Armeeklubs am Waldrand zur Disco zu gehen. Als kleine Kinder wurden wir darauf trainiert, den Wald nicht als Biotop, sondern als Gelände zu betrachten. Beim Geländelauf oder der Schnitzeljagd mit bunten Bändern in der Gruppe kam es nicht auf die Betrachtung seltener Vögel und Pflanzen an, sondern darauf, schneller als die Gruppe mit den andersfarbigen Bändern am Ziel zu sein oder ihren Schatz zu plündern. Als Ältere lernten wir, uns mit Karte und Kompass durch dieses mit natürlichen Hindernissen versehene Gelände namens Wald zu bewegen, was dazu führte, dass ich heute einen unbeirrbaren Orientierungssinn habe, aber keine Ahnung von Pilzen.
Was ich sagen will: An der Idee, die Natur militärisch zu nutzen, wurde mehrere Jahrhunderte lang festgehalten. Die Landschaft nahm am Ende selbst militärischen Charakter an. Der Wald stand da wie zum Appell angetreten. Hier und da gab es ein Betriebsferienlager am See. Aber auch die waren straff durchorganisiert, sodass keine romantische Naturstimmung aufkommen konnte. Heute wird die Landschaft wieder zivilisiert. Man renaturalisiert die Natur. In Brandenburg heißt das: Truppenübungsplätze zu Naturschutzgebieten! Auf dem Bornstedter Feld im Norden von Potsdam beispielsweise ließ zunächst Friedrich der Große aufmarschieren. Wilhelm IV. machte den Acker zu einem festen Exerzierplatz. Um 1900 fanden erste Versuche mit Flugapparaten statt. Im Ersten Weltkrieg war eine Jagdstaffel am Hang des Ruinenbergs stationiert, später nutzte die Sowjetarmee das Areal. Die sozialistische Bruderarmee hielt sich beim Einsatz von Sprengstoffen und Kampfgasen so wenig zurück wie später die NVA. Nachdem die giftigen Schichten im Bornstedter Feld nach der Wende abgetragen und entsorgt worden waren, konnte der ehemalige Exerzierplatz zur Bundesgartenschau 2001 in einen Landschaftspark umgestaltet werden, an dessen Rand heute vor allem ganz alte und ganz junge Menschen wegen der Nähe zur Natur gern wohnen.
In anderen Militärgebieten wie der Döberitzer Heide zwischen Potsdam und Elstal wird man bald auf Wildnissafari gehen können. Diese ausgedehnte Kiefern- und Heidelandschaft diente der preußischen Armee Kaiser Wilhelms II., Hitlers Armee und schließlich der Roten Armee als Truppenübungsplatz. Nachdem die Heinz Sielmann Stiftung dreitausendsechshundert Heide-Hektar übernommen hatte, entwickelte sie ein Naturschutz- und Naherholungsgebiet, in dem die Natur noch immer unter militärischem Schutz steht. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, die Wanderwege zu verlassen; nicht so sehr aus Sorge um Heidekraut und Fischotter, sondern aus egoistischen Gründen: Man möchte nicht in die Luft fliegen. Vereinzelte Warnschilder genügen, um die Schar der Sonntagsausflügler von der »Wildniskernzone« fernzuhalten. Noch immer befinden sich Sprengkörper und Munition im Boden. Wisente, Wildpferde und Rotwild, die die Fertigkeit des Lesens nicht beherrschen, müssen sich auf ihre Witterung verlassen, um nicht zum ahnungslosen Kamikaze zu werden.
Was Preußen einmal begonnen hatte, wurde von den Nazis aufgegriffen. Brandenburgische Wiesen und Äcker wurden zu Flugplätzen der Luftwaffe. Landebahnen und Flugzeugshelter wurden ins Wiesenschaumkraut geknallt. Die Wälder der Uckermark oder das Neuruppiner Land erdröhnten unter den Starts und Landungen von Kampfbombern. Und die DDR machte unter veränderten Vorzeichen damit weiter. Selbst am Rand des Spreewaldes wurde ein Militärflugplatz eingerichtet. Ganze Dörfer litten unter dem anhaltenden Fluglärm der Militärmaschinen, Dörfer, die dem Staat wiederum nützlich wurden, weil man an diese lärmverstrahlten Orte renitente Staatsbürger strafversetzen konnte. Querdenker aus der ganzen Republik saßen in uckermärkischen Häusern und spürten den Kratzputz zittern. Erst nach Abwicklung der Nationalen Volksarmee legte sich über einige dieser Anlagen Stille. Mittlerweile werden sie in alternativen Reiseführern als Geheimtipps gehandelt, als versteckte Attraktionen, verborgene Zeugnisse der mörderischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, zu denen man mit GPS-Daten geführt wird. Beim »Bombodrom«, einem Luft-Boden-Schießplatz in der Nähe von Wittstock, kämpften Anwohner und Bürgerinitiativen siebzehn Jahre darum, dass die hundertvierundvierzig Quadtratkilometer, auf denen Wehrmacht und Sowjets einst das
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