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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Tieffliegen und Bombenabwerfen geübt hatten, stillgelegt wurden. Ursprünglich sollte ihn die Bundeswehr übernehmen.
    Bei Spaziergängen an Seen und in Wäldern stößt man unverhofft auf Militärruinen. Da versperrt plötzlich ein Zaun den Weg. Schießstände und verfallene Mannschaftsbaracken sind im Unterholz zu erahnen. Im Wald bei Wiepersdorf, wenige Kilometer hinter dem Schloss, in dem einst Bettine von Arnim ihre Salons veranstaltete und das heute Künstler beherbergt, endet der Weg an einem Schlagbaum. Hier rottet ein Militärdorf vor sich hin. Auf einer Lichtung ragen Plattenbauten auf, vor denen eine Asphaltstraße entlangführt, die von Schlagbaum zu Schlagbaum reicht und dann plötzlich endet. Brennnesseln wachsen aus Fensterhöhlen. Von den Maschinen- oder Fahrzeughallen steht nur noch das Skelett, rostige Rohre, platte Reifen, Metallabfälle liegen herum, der Kuckuck ruft, die Blütenblätter fliegen, von den Feldern hinterm Wald riecht es süßlich nach Getreide, und sekundenlang verheddert man sich in der Frage, auf welcher Seite der Gespensterwelt man sich befindet: tot unter den Lebenden oder lebend unter Toten.
    Im Kurort Bad Saarow war der Fuchsbau versteckt. Am hübschen Seeufer saß unterirdisch die Führungsstelle der Luftverteidigung der DDR. Der Bau dieses Bunkers war bereits von den Nazis mithilfe von KZ-Häftlingen aus Sachsenhausen begonnen worden und sollte die Nachrichtenzentrale der SS beherbergen.
    In der Nähe des Erholungsgebietes der Märkischen Schweiz liegt siebzehn Meter unter der Erde die Atombunkeranlage Garzau, das ehemalige Rechenzentrum der NVA, die nach der Wende als Versteck heißer Stasi-Akten berühmt wurde. In Kummersdorf bei Luckenwalde versehren Betonbauten einen ganzen Wald. Birken wachsen aus Bunkeranlagen, feuerfeste Abgasrohre ragen zwischen Himmelsschlüsselchen und Löwenzahn in den Himmel. Dieser Ort soll in ein »Museum in der Natur« umgestaltet werden, noch ist das Betreten dieses Geländes, auf dem die Geheiminstrumente der Machterhaltung zweier Diktaturen verrotten, lebensgefährlich. Waffen wie die Kanone »dicke Berta« für den Ersten Weltkrieg wurden in diesen Betonhallen getestet, im Zweiten Weltkrieg ließ das Heereswaffenamt der Nazis Triebwerke für die »Wunderwaffe« V2 testen und richtete Labore ein, in denen die Atombombe entwickelt werden sollte. Auf dem Gut Kummersdorf gab es einen kleinen Reaktor. Die Auer-Werke in Oranienburg nördlich von Berlin produzierten das benötigte Uran. Noch heute zeugt ein mit Uran verseuchtes, eingezäuntes Gelände bei Kummersdorf von den Experimenten, und im Jahr 1996 musste in Oranienburg ein Sportplatz gesperrt werden, weil die Sprunggrube verstrahlt war. Der Wald wird lange brauchen, um die Spuren zu tilgen. Der Stahlbeton ist hartnäckig, der Boden so vergiftet, dass sich so schnell kein Naturschutzgebiet aus dieser Gegend machen lässt.
    Im lauschigen Wünsdorfer Kiefernwäldchen befand sich im Dritten Reich das Oberkommando des Heeres. Man baute damals Luftschutztürme, Zigarren genannt, die noch immer inmitten von Wohnvierteln aufragen. Zu Zeiten des Kalten Krieges richteten die Sowjets in Wünsdorf den strategisch wichtigsten Standort des Ostblocks in Westeuropa ein. Von hier aus planten sie den Einmarsch in die ČSSR, um den Prager Frühling 1968 niederzuschlagen. In den Achtzigerjahren traf ich mich in einer der Wünsdorfer Kasernen zum Pioniernachmittag mit jungen Komsomolzen, Kinder der stationierten Offiziere (einfache Soldaten durften keine Kinder haben, sie durften überhaupt nichts haben). Wir waren zehn Jahre alt und trugen Uniform. Sie bestand aus einer weißen Bluse und einem blauen Halstuch. Die sowjetischen Mädchen hatten eine steife Schleife im Haar. Die Jungs trugen Anzüge aus falschem Samt. Nachdem wir mehrere Schlagbäume und Pförtnerhäuschen passiert hatten, saßen wir um einen Samowar und tauschten russische Sätze vom Kampf für den Frieden aus. Später auf der Nachhausefahrt mit dem Sputnik standen die Kiefern vor den Zugfenstern stramm.
    Heute hat Wünsdorf unterirdische Museen aus seinen militärischen Hinterlassenschaften gemacht und nennt sich »Stadt der Bunker«. Und weil das so deprimierend klingt, hat man ein kulturelles Gegengewicht geschaffen: Wünsdorf wurde zur »Bücherstadt« gekürt mit Antiquariaten, Buchläden und Bibliotheken.
    Kleinstädte wie Wünsdorf, in denen preußische Garnisonen zu Kasernen der Deutschen Reichsarmee, der Wehrmacht und später der

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