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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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stellten, und hat den heißen Mittag auf sonnenfreier Marmorbank unter den Terrassen von Sanssouci verträumt. Und hat nachmittags auf dem Brauhausberg oder im Drachenhaus am Belvedere Kaffee getrunken und ist im sinkenden Abend durch die alten Straßen gewandert, die schon sachte einschliefen. Und einmal war es schon Nacht geworden: Da standen die Häuser alle wunderlich schief im Mondschein, hinter hellen Fenstern bewegten sich Schatten, und die Havel lag ganz schwarz unter der Kaiser-Wilhelm-Brücke. Oben am Himmel aber taumelten aufgeregt die Sterne …« So schrieb es ein Stadtfremder – Ludwig Sternaux, Berliner Theaterkritiker und Chefdramaturg der Ufa in den Zwanzigerjahren. Er dürfte den Potsdamern damit aus dem Herzen sprechen.
Potsdamer Mode
    Der Stolz drückt sich übrigens auch in der Kleidung aus. Die Potsdamer bemühen sich, mit ihren Schlössern modisch im Einklang zu sein. Beispielsweise sind in der Innenstadt des Öfteren Damen unterwegs, die weiße Hauben und raumgreifende, knöchellange Kleider tragen, ebenfalls weiß. Wenn sie durchs Holländerviertel wandeln, sprechen ihre Gewänder altniederländisch, wandeln sie in der Nähe von Sanssouci herum, erinnern ihre Blusen mit ellbogenlangen Ärmeln und flügeligen Aufschlägen, die im Ausschnitt spitzenverzierte Unterhemden zeigen, an die höfische Zeit des Rokoko. Im Krongut Bornstedt haben sie ihre eigene Ausstellung der selbst geschneiderten Kostüme zusammengetragen, die man unter Umständen auch kaufen kann. Hier hängen langschößige Herrenröcke und Kniehosen, Seidentaftkleider und Roben aus Damast.
    An der Eingangspforte zu Sanssouci sieht man jeden Tag bei jedem Wetter einen im friderizianischen Rock gekleideten Flötisten, der, an Friedrichs Flötenspiel erinnernd, den Strom der Touristen mit Quart- und Quintetten bespielt. Im Sommer ist der Rock zu heiß, im Winter zu kalt, aber immer ist der Flötist tadellos gekleidet mit breiten Manschetten und Spitzen, die unter den Ärmeln hervorsehen.
    Diese Anregung durch modische Individualisten hat mit der Zeit dazu geführt, dass sich ein besonderer Kleidungsstil entwickelte, die Potsdam-Haute Couture. Sie zeichnet sich durch Tücher aus, die über Tüchern getragen werden, die wiederum, auf Umhängen drapiert, auf weiten, fließenden Gewändern liegen. Alles flattert. Alles weht. Damit dieser Tücherturm nicht verrutscht, werden die verschiedenen Stofflagen zusammengehalten von einer monstermäßig großen Brosche, wahlweise aus Filz, Strick oder Metall. Der Hals kann dabei gern ein wenig Luft kriegen. Dazu passend finden sich Hüte. Diese Hüte sind nicht einfach eine Kopfbedeckung. Sie haben immer einen Pfiff. Eine schräge Ecke beispielsweise, eine wippende Plumage, gedrehter Tüll, gerollter Füllstoff oder auch Gemüse, ironisch arrangiert. Auch die Schuhe haben meistens der Zier wegen viele große Knöpfe, Reißverschlüsschen oder lederne Falten, die sich über dem Spann verkräuseln, sind aber praktikablerweise flach.
    Kaufen kann man diese Kleidungsstücke in kleinen Läden im Holländerviertel oder auch in den Nebenstraßen des Fußgängerboulevards. Als Ende der Neunzigerjahre Ehepaare aus den westlichen Gebieten Deutschlands Potsdam entdeckten, wollten die Ehemänner dank der sogenannten »Buschzulage« bleiben. Die gelangweilten Gattinnen, inspiriert vom alten Gemäuer und der Geschäftigkeit der ostdeutschen Frauen, eröffneten eine Boutique.
    Der Fußgängerboulevard wird von den Einheimischen übrigens »Broadway« genannt. Diesen Namen verdankt die Einkaufsstraße zwischen Nikolaikirche und Luisenplatz der praktischen Veranlagung der Brandenburger, die sich in jeder Lebenslage zu helfen wissen. Als noch die halbe Stadt von der Mauer umgeben war und man nur nach Osten, nicht jedoch in den Westen reisen konnte, hielt man sich nicht lange damit auf, Sehnsucht zu haben. Man verlegte einfach eine der berühmtesten westlichen Glamourmeilen vor die eigene Haustür. So war der Einkauf im rümpligen und einzigen Kaufhaus nicht mehr ganz so öde, und bei schönem Wetter konnte sich die Potsdamerin sogar einbilden, sie wäre unterwegs beim Shopping in New York.
Potsdamer Schrecken
    Potsdam hat neben der Weltkultur noch etwas geerbt. Dieses Erbe ist weder mit dem Stolz noch mit der Mode in Einklang zu bringen, weshalb es immer mal wieder heftige Debatten auslöst.
    Als ich hierherzog, wurde beispielsweise darüber debattiert, wie mit dem Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit

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