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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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kein Berliner!
    Das haben 1996 bei der Volksabstimmung über die Fusion der Länder Berlin und Brandenburg dreiundsechzig Prozent der Abstimmenden auch gesagt. Sie wollten sich nicht vereinen. Das hatte weder etwas mit Snobismus eines Bildungsbürgertums zu tun, das seine Schlösser und Gärten für sich behalten will, noch mit einer Einsiedlermentalität, die den Märkern gern nachgesagt wird. Die Politikmüdigkeit ist nicht größer als im übrigen Deutschland. Die Brandenburger sind bloß etwas skeptischer. Diese gesunde Skepsis gegenüber beschwingten, politischen Beschlüssen verhinderte in diesem Fall, dass die Pleitestadt Berlin das bisschen Geld brandenburgischer Steuerzahler auch noch verbraten durfte. Sie verhinderte, dass unterschiedliche Orchester zu einem einzigen Gesamtorchester »fusionieren«. Und von einer Theater landschaft würde heute ohne die brandenburgische Zurückhaltung wohl auch nicht mehr die Rede sein.
    Bei den Älteren mag die Skepsis übrigens daher rühren, dass der Staat, in dem sie lebten, schon so oft gewechselt hat und mit ihm die jeweilige Wahrheit, dass sie sich lieber an bodenständige Gewissheiten halten; an die landschaftliche Heimat. Nach dem Ende der DDR steht das Land Brandenburg für diesen Heimatbegriff ein. Und seine soeben erst gezogenen Grenzen will man nicht schon wieder einer bloßen Verwaltungsreform geopfert sehen.
    Vielleicht ist das Nein zur Fusion auch ein schlichter Selbstbehauptungsreflex der zweieinhalb Millionen Brandenburger, die sich 3,4 Millionen Berlinern gegenübersehen: Wir müssen uns abgrenzen! Berlin dehnt sich schleichend immer weiter aus! Das geht schon seit 1860 so, als dem Niederbarnim Moabit und Wedding und dem Landkreis Teltow Schöneberg und Tempelhof entwendet wurden. 1920 verschlang Groß-Berlin dann außer Charlottenburg, Neukölln und Köpenick weitere neunundfünfzig Landgemeinden und siebenundzwanzig Gutsbezirke. Und das geht so weiter! Zuerst kommen die großen Plakate für Baugrundstücke. Dann kommen die Tankstellen und Asia-Imbissbuden und die Möbelmärkte. Dann stehen frisch verputzte Häuser auf den Baugrundstücken in Reih und Glied und noch etwas nackt auf dem Acker, der aber bald darauf anwohnerfreundlich mit riesigen Lebensmittelmärkten ausgestattet wird. Die Märkte müssen von Lastkraftwagen angefahren werden, für die es eine ordentliche Straße braucht. Die Straße muss leider direkt vor der Veranda der neuen Häuser verlegt werden, weshalb man dort Transparente aufhängt mit der Forderung nach einer Umgehungsstraße, und ehe man sich’s versieht, hat man drei Umgehungsstraßen mit lauter Tempo-dreißig-Zonen, weil an ihnen wiederum Häuser gebaut wurden, mit neuen Straßen davor, und bald heißen auch Orte wie Falkensee, Blankenfelde oder Erkner Berlin. Wo bleibt da die Vielfalt?
    Mit den Orten fallen auch die letzten Reste der nördlichen und südlichen Verfeinerungen der märkischen Sprache der Berliner Kodderschnauze zum Opfer. Das märkische Platt ist seit Beginn des vorigen Jahrhunderts durch den Icke-dette-kieke-Mal Jargon so gut wie ersetzt. Der Starautor Brandenburgs ist für Brandenburger großenteils unverständlich. Für die Mundart redenden Figuren Theodor Fontanes braucht man bereits Übersetzer. Und wer weiß noch, dass an Johanni »die Tüffel behüügt sin müttn«, wenn diese nordmärkische Bauernregel keiner mehr versteht und die Kartoffeln unbehäufelt liegen bleiben. Auch der Aufforderung »Wier richtig angeln will, mütt sich ne Angelkort köpen, dät wer ok früher so« werden die Angler an den uckermärkischen Seen nicht mehr nachkommen können, was die finanziellen Einbußen der Gemeinden weiter erhöht. Und nach welch unverstellter Einfachheit muss es geklungen haben (und wie würden die Berliner wegen der Authentizität da jetzt hinlatschen), wenn auf einer Dorfdisco zwischen Paaren und Busendorf plötzlich einer sagte: »Kumm danz mit mi.« Hatte das mit dem Tanzen dann geklappt, wusste man im Südmärkischen auch, wie’s ein Leben lang weitergeht: »Wenn derr Kickeriehoahn een Kernecken gefungen hat, denn ruept hä siene Hindere un jifft et die.« – Wenn der Hahn ein Korn gefangen hat, dann ruft er seine Henne und gibt es ihr.
    In Berlin denkt man sich immer wieder neue Tricks aus, um Brandenburg zu unterwandern. Ein ganz hinterhältiger Versuch wurde in den Neunzigerjahren gestartet. Sechs Millionen Tonnen Berliner Boden wurden in den Tagebau Lübbenau-Süd gekippt. Dort liegt jetzt

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