Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Japanerin möchte gehen, wird aber von der Gruppe Kanuten aufgehalten, die gerade die Böschung vom Jungfernsee hochgeklettert ist und mit der Sortierung der Paddel durcheinanderkommt, wobei der Japanerin eines der Paddel in den Schoß fällt.
Friedrich Wilhelm II. soll Ende des 18. Jahrhunderts hier Milch aus grünen Gläsern getrunken haben. Sein Hofmarschall reagierte wütend, wenn die Milch – manchmal war es auch Branntwein – an Parkbesucher ausgeschenkt wurde. Heute sieht man die Gäste das naturtrübe Meierei-Spezial-Bier in Fünfliterkrügen durch den Park nach Hause tragen.
Ran an die Buletten!
Machen wir uns nichts vor: Mit dem Ruf des Berliners ist es nicht zum Besten bestellt. Jedenfalls außerhalb der Stadtgrenze Berlins.
( Jakob Hein)
Wenn ich im Ausland gefragt werde, woher ich komme, sage ich: Berlin. Das stellt bei meinem Gesprächspartner sofortiges Interesse her – alle wollen nach Berlin. Vor allem aber möchte ich nicht mit jedem, der mich fragt, so viel Zeit verbringen, wie eine Erklärung zur Lage Potsdams dauert: lange. Potsdam, so ginge die Erklärung los, liegt südlich von Berlin. Es gehört nicht zur Hauptstadt. Es ist aber eine Hauptstadt. Und schon wird es schwierig. Denn sage ich, Potsdam sei die Landeshauptstadt von Brandenburg, kann ich sicher sein, dass keiner meiner Gesprächspartner noch weiß, wovon ich rede. Das Wort Brandenburg ist unbekannt. Sage ich dann beschwichtigend, Potsdam sei fast schon Berlin, die Stadtgrenzen würden sich berühren, begehe ich den gleichen Verrat an den Grenzverläufen der Bundesländer wie die Berliner, die im arglosen sommerlichen Grenzverkehr ihre Jachten in Gewässer hineinlenken, von denen sie nicht ahnen, dass es Potsdamer sind, und Küsten mit ihren nackten Leibern vereinnahmen, von denen sie nicht wissen, dass es märkische sind. Im Herbst pflücken sie auch gern die Pilze im Sacrower Wald (und zwar alle!), und im Winter besetzen sie lautstark die Rodelberge, als seien es ihre Hinterhöfe.
Haben sie außer Kindern auch Gespartes, wird es noch schlimmer. Sie treiben die Immobilien- und Mietpreise im »Speckgürtel« in schwindelerregende Höhen. »Wir ziehen raus«, heißt es dann. Für diese »rausziehenden« Berliner wurde der »Speckgürtel« überhaupt erst erfunden, und zwar von einem kreativen Mitarbeiter im Landesministerium, der in den Nachwendejahren eine Bezeichnung brauchte, um damit die förderbedürftigen brandenburgischen Orte von den nicht förderbedürftigen Orten zu unterscheiden. Das Ministerium ging hellsichtig davon aus, dass die nach Natur durstenden und besser gestellten Berliner die Sanierung der Orte in Reichweite der Großstadt selbst erledigen würden. Und so kam es. Berlin und das Umland gingen eine innige Beziehung ein. Im Klartext: Nur wenige Brandenburger können sich das Wohnen in Berlinnähe noch leisten.
Manchmal erinnert sich ein ausländischer Gesprächspartner doch. Ja, von Potsdam habe er schon gehört, das sei doch so ein Vorort von Berlin. Mit dieser Bemerkung zieht er sich zwar den Hass eines jeden Potsdamers zu, folgt aber im Grunde einer unausrottbaren Definition, die auf die ersten slawischen Siedler zurückgeht. Sie verpassten ihrer Wahlheimat den Namen Poztupimi. Poztupimi bedeutet Vorstufe oder Vorposten. Und wenn so ein Image erst einmal jahrhundertelang an einem festpappt, fällt es schwer, sich davon zu befreien. Selbst Jean Paul hat noch in dieselbe Kerbe gehauen. Er bezeichnete Potsdam als »die schönste Vorstadt Berlins«.
Sagen Berliner nun, sie wollen »rausziehen«, klingt das so, als würden sie sich von da an ununterbrochen im Freien aufhalten. Um diese Interpretation zu untermauern, wurden Kindergärten erfunden, in denen die Kleinen bei jedem Wetter den ganzen Tag im Wildpark verbringen. Hier trainieren sie ihre Naturverbundenheit, die ihnen in der Großstadt entgeht. Kurz, Potsdam haftet noch ein zweites Image an: Sie ist die Hauptstadt einer Wildnis, in der Wölfe und Mücken ihr Unwesen treiben. Das bringt meine ausländischen Gesprächspartner nun auf den Gedanken, Potsdam liege fast am Ural, was ich – O-Ton – auf einer österreichischen Skipiste von einem Münchner zu hören bekam. Manchmal, wie in diesem Fall, ist es also dringend geboten, die Berlinnähe zu betonen. Nur vor Ort hat man ständig damit zu kämpfen, sich von Berlin abzugrenzen. Und ich möchte es jetzt, da ich in Potsdam an meinem Schreibtisch sitze, noch einmal ganz laut sagen: Ich bin
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