Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
kann sich ein Boot oder ein Floß mit anderen Mietern teilen, und wer Geld hat, wohnt in einer Villa am Heiligen See, ohne zu teilen. Wer eine Wohnung in den roten Backsteinhäusern des Holländerviertels bezieht, das für holländische Handwerker im 18. Jahrhundert gebaut wurde, muss damit rechnen, dass Touristen auf den Abendbrotteller glotzen, und die Bewohner der Holzhäuser des russischen Militärdorfs »Alexandrowka« bekommen so häufig Besuch russischer Landsleute, dass dort bereits ein russisches Café eröffnete. Die russischen Besucher interessiert, wie ein solches Dorf aus dem 18. Jahrhundert im Original ausgesehen hat, weil sie in ihrem eigenen Land keines mehr finden. Am Rand eines Obstgartens zu Füßen des Pfingstberges beherbergten die Häuser der »Alexandrowka« während der preußisch-russischen Waffenbrüderschaft im Krieg gegen Napoleon Soldaten der zaristischen Armee. Sie gehörten nicht zur kämpfenden, sondern zur musizierenden Truppe. 1827 zogen hier zwölf Sänger ein.
Potsdamer Weltkulturerbe
Wie Sie sehen, ist Potsdam nicht unbedingt eine ultramoderne Stadt. Verglichen mit Blütestädten des modernen Lebens wie Melbourne oder Göteborg wirkt Potsdam etwas aus der Zeit gefallen. Ein Disneyland preußischer Geschichte. Jeder Stein dieser ehemaligen Residenzstadt wird bald eine Gedenktafel tragen, wenn er nicht schon bei der Wiederherstellung des Stadtschlosses verbaut wurde. Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten überlegt immer mal wieder, für die sorgfältig gepflegten Parks Eintritt zu verlangen. Ich würde vorschlagen, das auf die ganze Stadt auszuweiten und an den acht Zufahrtsstraßen Eintritt zu kassieren. Ein Teil des eingenommenen Geldes könnte an die Bürger ausgezahlt werden, die sich, wenn sie so durch ihre Stadt gehen, manchmal selbst schon vorkommen wie ein Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Und sie benehmen sich auch so.
Es gibt einen Potsdam-Stolz. In der Nähe der Schlösser setzt eine Art Schreitgang ein. Man latscht nicht mehr einfach so in der Gegend herum; man wandelt . Einander bei den Armen haltend, verfällt man in eine würdige Langsamkeit. Die Gesichter verwandeln sich dem göttlichen Ausdruck marmorner Vorbilder an, die Köpfe gehen anmutig nach rechts und nach links. Die Gespräche werden vornehmer, und wer des Vornehmen nicht mächtig ist, wird noch stiller als sonst. Die Potsdamer sind sogar in der Lage, auf dem Fahrrad zu wandeln . Sie haben das flanierende Radfahren überhaupt erst erfunden. Rennräder oder Mountainbikes sind verpönt. Das müssen Studenten oder Kuriere sein, die so kopflos niedergebeugt durch die Gegend rasen! Echte Potsdamer würden sich nie ein Fahrrad zulegen, auf dem sie nicht erhobenen Hauptes und mit gereckter Brust am Stadtkanal oder am Schloss Charlottenhof flanierend entlangradeln können. Schwarz glänzende, geschwungene Rahmen, weit ausgreifende Lenker, die möglichst hoch angebracht sind; das ist das richtige Potsdam-Fahrrad. In der Machart ähnelt es dem Holländerrad, wird aber nicht so aggressiv wie in Holland benutzt: Die Bewegung auf den Potsdam-Rädern ähnelt der, beim Schritt-Reiten im Damensattel ein Glas Champagner zu trinken. Als die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten darauf aufmerksam wurde, reagierte sie sofort. Sie markierte Wege durch die Parks, die speziell diesen Flaneurradlern gewidmet sind.
Über den Potsdam-Stolz wird, wie über vieles andere, natürlich nicht weiter geredet. Und wenn er doch zur Sprache kommt, dann in der hierzulande typischen Weise, die Skepsis und Toleranz gleichzeitig ausdrückt. Zur Schlössernacht von Sanssouci, als alle Gebäude des Parks geöffnet hatten, formulierte eine Einheimische, die ihren Gästen das chinesische Teehaus zeigte, ihre Begeisterung so: »Nüscht steht drinne, aba schön, wa?«
Die Tiefe in diesem schlichten Satz der Entzückung dürfte den Gästen kaum klar geworden sein. Was die Gastgeberin eigentlich hatte sagen wollen, klingt so: »Man hat (die Stadt) im Frühling gesehen, wenn der Flieder ihre Gärten weiß und violett überschäumte, im Sommer, wenn in Charlottenhof die Rosen ihre schwülen Blütentage hatten. Man ist hier im Herbst gewesen, wenn in den Gärten von Sanssouci die Kastanien fielen und der Fuß durch raschelndes Laub schritt, und im Winter, wenn all die steinernen Götter und Göttinnen ein Pelzkleid aus Schnee trugen. Man hat in der Frühe des Morgens am Kanal gestanden, als die Fischer hier ihren Fang zum Verkauf
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