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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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der halbe Potsdamer Platz! Auf den Erdaushub von der riesigen Hauptstadt-Baustelle wurden eiligst Wald und Getreide gepflanzt, damit die Lübbenauer von der heimlichen Migration nichts bemerken. Und schon breiten sich mitten in der Niederlausitz Berliner Pflanzen aus.
    Auch die Deutsche Bahn möchte Potsdam als Teil Berlins sehen, weshalb kein einziger ICE in der Landeshauptstadt hält. Will ich verreisen, muss ich erst nach Berlin. Auf dem Weg nach Leipzig beispielsweise, das südlich von Potsdam liegt, fahre ich erst einmal eine Stunde in den Norden. In den Statistiken der Deutschen Bahn tauche ich dann als Touristin auf. Alles geschönt! Hier weiß jeder, dass die Hälfte der Fahrgäste in Richtung Berlin, mit denen die Bahn prahlt, nur Brandenburger Anschlusssuchende sind. In den Führungsetagen wird übrigens ebenfalls die irrige Münchener Vorstellung gepflegt, das Land Brandenburg liege am Ural. Deshalb verkehren nur Regionalzüge. Wenn Bauern reisen, nehmen sie bekanntlich ihr Vieh mit. Die Doppelstockzüge bieten genug Platz für all die Gänsekörbe und Heukiepen, mit denen das Landvolk morgens und abends in die rappelvollen Regio-Expresse aus Wittenberge oder Nauen oder nach Königs Wusterhausen drängt. Bin ich im Westen Deutschlands unterwegs, wundere ich mich immer, in welchen Klitschen so ein ICE zum Halten zu bringen ist, während man nach Cottbus und sogar nach Frankfurt/Oder von Berlin aus nur mit der Regionalbahn gelangt. Dabei hat gerade diese Strecke Tradition. Sie verband als eines der ersten Fernbahnprojekte Preußens Berlin mit Breslau, wurde 1842 für den Streckenabschnitt Berlin-Frankfurt/Oder eröffnet und in den Folgejahren bis Breslau verlängert, um dann von Joseph von Eichendorff benutzt zu werden, wenn er aus Oberschlesien anreiste. In den Jahren des industriellen Aufschwungs um 1900 gab es ein dichtes Schienennetz, das selbst kleinen brandenburgischen Dörfern einen Bahnhof bescherte. Heute wächst dort Hirtentäschel. Auf DB-Führungsebene hält man sich offenbar an Prognosen, die das baldige Aussterben der Brandenburger verkünden, und möchte der Erfüllung dieser Prophezeiung nicht im Weg stehen. »Aberglobe nenn de Lüde det, wo se dran jloben, wat aber joanich die Woarhet is«, hätte man im Raum Belzig dazu gesagt, als dort noch Mittelmärkisch gesprochen wurde, aber mit jeder Mundart verschwindet auch ein bisschen gesunder Menschenverstand.
    Manchmal treffe ich auf Leute, die bei der Erwähnung Potsdams glänzende Augen bekommen. Das sieht ein bisschen so aus wie die Dollarzeichen in den Augen von Dagobert Duck. Für sie ist Potsdam ein Synonym für Reichtum. Die Stadt gilt als heimliche Enklave der Reichen und Schönen. Sie haben gehört, dass Friede Springer und der Chef der Bild -Zeitung hier wohnen. Sie wissen, dass Günther Jauch sich eine Villa am Heiligen See gekauft hat, gleich neben dem weißen Palast von Wolfgang Joop. Sie fragen, ob es stimmt, dass die Villa von Joops Geliebtem kleiner ist. Und aus Dankbarkeit, dass endlich jemand meine Heimatstadt kennt, erzähle ich sagenhafte Dinge. Dinge, die mir selbst nur als Gerücht zu Ohren gekommen sind. An Sommerabenden, sage ich beispielsweise, könne man die Herren auf Flößen auf den Heiligen See hinausfahren sehen. An weiß gedeckten und mit Kerzen bestückten Tafeln bewirten sie ihre Gäste mit gebratenem Schwan. Der Wein fließe aus Römern in die verwöhnten Münder, das Blut pulsiere unterm Abendkleid der Damen, Röcke raschelten, Dekolletés glänzten, der Lippenstift flamme in Seemitte so richtig auf, und das ganze Gepränge spiegele sich schön in den Fenstern von Schloss Cecilienhof wider, unter denen Studenten am Feuer eines Einweggrills sitzen.
    Schon die Erbprinzessin Christina zu Salm Salm wusste eine solche Seeüberfahrt zu schätzen. Sie quartierte sich zur letzten Jahrhundertwende in der Villa Kellermann ein. Der prächtige Bau war für einige Jahre nach der Wende die einzige öffentlich zugängliche Villa auf der östlichen Seite des Heiligen Sees. Alle anderen Villen, zunächst wegen Baufälligkeit gesperrt, gelangten ziemlich schnell in Privatbesitz. In der Villa Kellermann hatte ein italienisches Restaurant eröffnet. Künstler stellten in den hohen Räumen ihre Bilder aus. Im Garten und auf dem herrschaftlichen Balkon standen festlich gedeckte Tische für jedermann. An Hausfassade und Parkett hatte die Zeit Spuren hinterlassen, zu denen die einen romantisch, die anderen baufällig sagten. Aber

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