Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
alle kamen sie her (auch die Berliner). Die hohen Räume strahlten eine Eleganz und eine Gelassenheit aus, die man in Brandenburg häufig vermisst. Auf der geschwungenen Freitreppe zum Salon zu stehen, mit Blick auf den See, bedient von Kellnern, die im echten Leben Studenten waren, hier aber in gestärkten bodenlangen Schürzen servierten, und umspielt von leiser Tangomusik einen Martini zu trinken, während die Sonne im Glas versank, gehörte zum Besten, was Potsdam zu bieten hat.
Mittlerweile ist auch diese Villa in Privatbesitz. Christina zu Salm Salm war jeden Abend zu ihrer besten Freundin Cecilie gerudert. Die letzte Kronprinzessin des Deutschen Kaiserreichs residierte bis 1916 im gegenüberliegenden Marmorpalais und war für ihre Eleganz und ihr Faible für Hüte bekannt. Sie setzte sich für die Rechte der Frauen auf Bildung ein und wird eine aufregende Gesprächspartnerin gewesen sein.
Die etwas weniger Begüterten der östlichen Seeseite sind mittlerweile ebenfalls dem Beispiel mit den Flößen gefolgt. Hausgemeinschaften schließen sich zusammen, um ein Floß zu finanzieren, auf dem man Feste feiern und sonnenbaden kann. Nur die Besucher der FKK-Badestelle am Nordufer des Heiligen Sees sind davon nicht begeistert. Auch das nackteste Baden macht keinen Spaß, wenn man dabei dauernd von einem Floß gerammt wird.
Würden die Flöße durch die Schwanenbrücke passen, die den Verbindungskanal zum Jungfernsee überspannt, könnten die Flößer vom Jungfernsee in den Tiefen See einschwenken und sich den Nachschub für die Party direkt vom Wasser aus besorgen. Auch das haben informierte Menschen aus Süddeutschland längst mit Erstaunen über Potsdam gehört: Die Stadt ist so reich, dass selbst der Aldi einen eigenen Bootsanleger hat. Zwischen Theater und Glienicker Brücke kann man mit dem Segler beim Billigmarkt vorfahren. Die sogenannten Reichen sind allerdings selten beim Sixpack-Kauf zu sehen. Sie sind überhaupt wenig zu sehen. Man sieht nur ihre Spuren. Das Fortunaportal beispielsweise wird ein wenig an die Selbstkrönung des Schiefen Fritz (Friedrich I.), fast gar nicht an den Architekten Jean de Bodt, für immer aber an Günter Jauch erinnern. Seiner Spende von mehreren Millionen Euro ist es zu verdanken, dass das ehemalige Eingangstor zum Stadtschloss schon 2002 wieder aufgebaut wurde und sich der Landtag in den folgenden Jahren darum stritt, auf welche Weise das gesamte, 1960 von der SED-Führung in die Luft gesprengte Bauwerk wieder aufgestellt wird. Auch hier wurde das Volk befragt. Schließlich kam man zu dem Schluss, am Alten Markt einen Neubau zu wagen, der mithilfe von Spenden der Bevölkerung und großzügiger Millionenspenden von Hasso Plattner die historische Fassade von Knobelsdorff trägt. An dem Ort, an dem einst Kurfürstin Katharina von Brandenburg und Königin Luise wohnten und Friedrich II. residierte, regiert jetzt der Potsdamer Landtag. Zuvor haben die Politiker mehr als zehn Jahre in dem bereits beschriebenen, festungsgleichen Gebäude auf dem Brauhausberg verbracht, das nicht nur die Kaiserliche Kriegsschule beherbergte, sondern auch das Heeresarchiv im Dritten Reich und die Kreis- und Bezirksleitung der SED im Sozialismus. Da dürfte ihnen in der Knobelsdorff-Kopie am Alten Markt ein bisschen schwindelig werden angesichts so viel disneyländischer Leichtigkeit.
Es folgt einer historischen Logik, dass die niederländische Royal BAM Group den Neubau errichtet. Auch das Fortunaportal und das Holländische Viertel wurden einst von holländischen Architekten erbaut. Der Soldatenkönig war als Vierzehnjähriger auf sogenannter »Kavalierstour« in den Niederlanden an der Universität Leiden gewesen. Das neuzeitliche Kriegswesen, der Kanal-, Stadt- und Festungsbau, die Künste und die Wissenschaften der damals fortschrittlichsten Kolonialmacht hatten ihn so beeindruckt, dass er sie zu Hause imitieren wollte. Er importierte seine Lieblingsarchitekten. So kommt es, dass Potsdam mit dem Holländerviertel heute die einzige im holländischen Baustil errichtete Siedlung außerhalb der Niederlande beherbergt, was jedes Jahr mit einem Tulpenfest gefeiert wird. Zwischen den unverputzten roten Backsteinhäusern mit weißen Fugen und geschwungenen Giebeln, in idyllischen Hinterhofgärten, vor Cafés und Kneipen kann man Poffertjes und Holzpantinen kaufen. Nur die Bewohner der originell geschnittenen, schmalen Wohnungen, in der eine kleine Treppe das ebenerdige Zimmer zur Straße mit dem
Weitere Kostenlose Bücher