Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
gegangen. Dass da I dioten am Steuer sitzen, wissen die Brandenburger trotzdem. Sonst würde es die vielen Unfälle nicht geben, die ihren Alleen den Ruf von Todespisten eingebracht haben. An den Einheimischen liegt das nicht! Wenn sie jung sind und es eilig haben, ihre Freundin im Nachbardorf zu besuchen, oder wenn sie in älteren Jahren den Unterschied zwischen einem Mähdrescher und einem Auto nicht mehr für so wichtig halten, rasen sie genauso wie die Städter, die in der freien Wildbahn endlich mal die PS-Sau rauslassen wollen. Die neu angelegten Fahrradwege werden von der Dorfjugend gern für nächtliche Rennen in frisierten Wagen benutzt. Das Auto ist für den Brandenburgischen Jungmann so wichtig wie der Nasenring und die Ganzkörpertätowierung, was man bei Moritz von Uslar nachlesen kann.
Die motorisierten Einheimischen haben allerdings den Vorteil, dass sie in Ermangelung anderer Tätigkeiten ihre Kleinstadtrunde oft genug drehen, um mit jedem Baum am Straßenrand persönlich bekannt zu sein. Der Berliner oder: die Bulette, wie die älteren Brandenburger ihre hauptstädtischen Nachbarn liebevoll titulieren, fährt nur bei gutem Wetter aufs Land. Welche Gefahr von diesen ahnungslosen Sonntagsfahrern ausgeht, sobald es zu regnen beginnt, zeigen die Schilder, die man extra für sie erfunden hat. Sie verdeutlichen, was passiert, wenn ein Auto mit einem Baum kollidiert.
Dank der Berliner sind die Potsdamer auch ihren schlechten Ruf losgeworden. Sie haben ihn einfach an die Großstädter abgetreten. Noch um 1800 wurde die Bezeichnung »Potsdamer« mit bestimmten Umgangsformen verbunden, die man heute eher den Berlinern nachsagt: »Höflichkeit und zuvorkommende Gefälligkeit scheint hier nicht der Hauptzug in dem Charakter der meisten Leute vom gemeinen Stande zu seyn«, heißt es im Brief eines Zeitgenossen.
Fehlende ICEs oder Verunglimpfungen vonseiten der Hauptstädter nehmen die Märker gelassen. Die manchmal stoisch wirkende Ruhe der märkischen Gesinnung beruht auf einer zutiefst weisen Einstellung zum Leben. »Allns het sien Tied« wie die Mundart es formuliert: alles hat seine Zeit. »Allns, wat sick ünnern Hümmel affspöln deit, passeert naoh de Klock … Up de Welt-Kaom het sien Tied, un van de Welt-Müttn het uck sien Tied. … Doodmaokn un Heelmaokn, Striedn und Freednholln.« – Alles, was sich unterm Himmel abspielt, passiert nach der Uhr. Auf die Welt kommen und von der Welt müssen. … Totmachen und Heilmachen, Streiten und Frieden halten. 1
Und so ist es nur gerecht, dass der neue Großflughafen der Hauptstadt auf märkischem Sand steht. Jetzt landen alle, die nach Berlin wollen, erst einmal in Brandenburg. Da der Bahnanschluss in die Hauptstadt unter der Erde liegt, wird Brandenburg allerdings vor allem aus der Vogelperspektive und aus der Maulwurfperspektive international von sich reden machen.
Bei meinem letzten Abflug vom Flughafen Schönefeld befuhr der Airport-Express noch die überirdisch verlegten Gleise des alten Sputnik. Dieser Schnellzug hatte früher Potsdam mit Schönefeld und Berlin verbunden. Ich saß in einem halb leeren, mit gelben Plastiksitzen ausgestatteten Billigflieger und sah draußen die türkisfarbenen Streifen des Enteisungsmittel auf den zusammengeschobenen Resten von Schnee, durchsiebt von Steinchen, Sand und dem öligen Tauwasser der Startbahn. In der Abfertigungshalle aus Blech hatte es nach altem Kaffee gerochen und nach Klo. Die Flugbegleiter waren müde. Der geplante Großflughafen war nichts als eine ferne Baustelle. Als wir auf die Startposition einschwenkten, tauchte im Fenster jenseits des Rollfeldes ein dunkles Backsteingebäude auf. Dort hatte meine Mutter zu Zeiten der INTERFLUG ihr Büro gehabt. Meine Mutter hatte den Fünfjahrplan des staatlichen Unternehmens mit errechnet. Als Kind hatte ich sie oft besucht. Wir waren auf die Besucherterrasse gegangen und hatten den rot-weißen Tupolew 134 oder IL 60 nachgesehen, die nach Sofia oder Kiew flogen. Damals war der Tower mit seinem roten Dach neu gewesen. Als der Tower nicht mehr so neu war, war das Unternehmen abgewickelt worden.
Ich weiß nicht, was sich heute in diesem dunklen Backsteingebäude befindet. Vielleicht steht es leer. Vielleicht wird es von einem der »lowcost-carrier« als Lager für Werbebroschüren benutzt. Der Billigflieger vibrierte, dann zog er an und raste über die Startbahn den Wolken entgegen.
»Leeve Frünn! Scheetn het sien Tied un Scheetiesern up’n Schrott
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