Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
beispielsweise ist mit seinen Häusern aus sandfarbenen Steinen auf einer von Wäldern umgebenen Wiese sehr schön. Ebenso Schulzenhof bei Dollgow. Dieses Vorwerk aus zehn Häusern liegt so idyllisch im Stechliner Land, dass auch der Schriftsteller Erwin Strittmatter nicht mehr herausfand und auf dem dortigen Waldfriedhof begraben liegt. Und seit kein sowjetischer Panzer mehr durch Reicherskreuz im Schlaubetal rollt, ist dieses Ensemble von Waldarbeiterhäusern aus Feldsteinen ebenfalls wieder schön.
Ein Schlafdorf ist schon von Ferne an den weißen oder grauen Jalousien zu erkennen. Sie sind meistens heruntergelassen. Ein Schlafdorf liegt immer in der Nähe einer größeren Stadt, meistens Berlin. Tagsüber schläft das Dorf, weil die Einwohner ausgeflogen sind, um in der Großstadt zu arbeiten, nachts schläft es gemeinsam mit den zurückgekehrten Einwohnern, und am Wochenende schläft es, weil die Einwohner ausschlafen wollen. Je weiter man sich übrigens von der Großstadt und den Schlafdörfern entfernt, umso echter werden die Bauerndörfer. Hier darf eine Scheune noch verfallen aussehen. Feldarbeitsgerät darf auch schmutzig herumstehen. Die Pflanzen sorgen wild wuchernd für »blühende Landschaften«. Gedüngt wird mit Mist, der nach Kuh riecht. Und das Wichtigste: Es gibt weder Geranien noch Stiefmütterchen in alten Autoreifen. Aber manchmal wunderschöne knorrige Obstbäume.
Weiterhin wäre die Frage zu klären, zu welchem Typ von Dorf Sie sich hingezogen fühlen. Sie könnten beispielsweise in ein Oderbruch-Kolonistendorf ziehen mit Fachwerkhäusern, die in Traufstellung die Straße säumen, und das im Besitz eines Dorfkrugs mit dem Namen »Zum Feuchten Willie« ist (Neulietzegöricke). Oder Sie ziehen in ein Straßenangerdorf im Hohen Fläming, das neben weiten Wiesen mit geschützten Großtrappen Vierseithöfe, ein Herrenhaus und eine historische Mühle zu bieten hat und zu Pfingsten außerdem das Bettenrennen veranstaltet (Fredersdorf ). Sollten Sie sich dafür entscheiden, können Sie sich schon einmal überlegen, ob Sie lieber mit einem durch Muskelkraft angetriebenen Ehebett oder mit dem motorisierten Doppelstockbett auf dem Sportplatz zum Wettrennen antreten wollen. Gerüchten zufolge soll zuletzt ein »Hexenbett« mit zehnköpfiger Besatzung das Rennen gemacht haben.
Sie könnten auch in ein Runddorf ziehen. Eines dieser Runddörfer liegt am Gestütsweg und trägt den erotisch angehauchten Namen Damelack. Sollten Sie zu den unbelehrbaren Ostnostalgikern gehören, sind Sie in Behlendorf richtig. Hier gab es die erste industrielle Milchviehanlage der DDR. Eintausend eingepferchten Kühen wurden im Schichtbetrieb die Euter leer gepumpt. Um sicherzugehen, dass der sozialistische Fortschritt von allen verstanden wurde, riss man den von Schinkel im Renaissancestil errichteten Kirchturm des Dorfes weg. Der Wirkung wegen wählte man den gleichen Zeitpunkt, zu dem auch die Potsdamer Garnisonkirche gesprengt wurde: 1967.
Liebhabern von Folklore und Trachtenmode wäre ein Streusiedlungsdorf mit reetgedeckten Häuschen zu empfehlen, an denen Ziergiebel aus Schlangenköpfen prangen. Diese Häuser stehen im Spreewald, der zur immerwährenden Verwunderung meiner ansonsten geografisch versierten Freunde ebenfalls zu Brandenburg gehört. »Aber da isses doch gar nicht sandig!« »Nee, da isses ganz schön nass.« Die Schlangenköpfe sind keine Drohgebärde gegenüber aufdringlichen Nachbarn. Sie gelten als Talismänner. Falls Sie in ein solches Streusiedlungsdorf einwandern (beispielsweise Burg), müssen Sie sich die Idylle zwar mit Hunderten Touristen teilen, die in Kähnen über die Fließe gestakt werden, wie man die Spreearme nennt. Aber die Betriebsausflügler, Jungfamilien und Rentner sind in ihrer unauffälligen beige-weiß-ockerfarbenen Tracht gut von den in schwere Kleider und unter kopfkissengroße Hauben gesteckten Einheimischen, genannt Sorben, zu unterscheiden. Außerdem können Sie an wendischen Bräuchen wie dem Hahnrupfen teilhaben und nonstop saure Gurken, Meerrettich und Leinöl futtern, alles made in Spreewald.
Manchen Menschen mag es auch egal sein, wie das Dorf aussieht oder wozu es gut ist; sie gehen lieber nach dem Klang der Namen. Die Spanne des Möglichen geben Ortsnamen vor wie Himmelpfort auf der einen und Kotzen auf der anderen Seite. Paaren und Busendorf gehören eindeutig der ersten, also der Seite an, die ahnen lässt, dass Brandenburg und der Garten Eden für manche ein und
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