Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
Krieg.
Sehnsucht
Zugegeben, die vorherrschenden Farben Brandenburgs sind Grün. Und wenn Sie jetzt denken, da habe sich ein grammatischer Fehler in den Satz geschlichen, stimmt das deshalb nicht, weil Grün immer in der Mehrzahl vorkommt. Es sind die verschiedensten Grüns, die aus dem Gelb kommend, übers Braune bis tief ins Blaue hineinreichen können und von allen möglichen Pflanzensorten verursacht werden, die aufzuzählen meine botanischen Kenntnisse leider nicht ausreichen. Buschwindröschen und Maulbeerbaum, Orchidee und Azalee, Tulpenbaum und Kirsche, Weichsel und Akazie sind die Gewächse, die auch die Ungeübte noch erkennt, allen voran die Linde, die mit ihrem berauschenden Duft den ganzen Juni erfüllt und die Autodächer mit ihrem klebrigen Blütensaft überzieht. Alle diese Pflanzen strecken sich nun in Richtung eines Gewässers, das, wie Sie bereits wissen, in Brandenburg nie allzu weit entfernt ist. Das Wasser fängt die grünen Blätterdächer ein, verdünnt sie zu einem silbrig verspielten Blau, das mithilfe der Reflexion an den Himmel geworfen wird, wo es – heller werdend – sich wiederum als aquamariner Schatten über den saftigen Farbklang der Urstromtäler oder das wüstenartige Grün der Endmoränenzüge legt.
So schrill die Sirenen über die Entvölkerung auch heulen, in ihrem Echo sprießt urwüchsig und immer ungestörter das Blatt- und Buschwerk der Natur. Während man mittlerweile fast überall auf der Welt bereits zu Fuß im Stau steht, kann man hier noch stundenlang eine Allee entlangwandern, ohne auch nur einem Moped zu begegnen. Dieser Flecken Erde liegt brach. Und zwar nicht wegen einer schwierigen klimatischen Ausgangslage wie im Fall von Lappland oder dem australischen Outback. Sondern weil außer einigen Naturschützern niemandem so recht etwas dazu einfällt. Natürlich werden immer wieder die verschiedensten Ideen vorgetragen. Am hartnäckigsten kehrt diejenige von der Flutung des gesamten Bundeslandes wieder. Die originellste kommt von Friedensmissionaren im Nahen Osten. Sie plädieren für die Umsiedlung Israels nach Brandenburg. Aber schließlich versandet jede Idee in der brandenburgischen Braunerde. Denn: wozu?
Wenn man von den militärischen Altlasten absieht, liegt Brandenburg mit seinem Überangebot an Ländlichkeit und Naturidylle absolut im Trend. Die Großstadt hat als Ort der Freiheit, als Raum eines selbstbewussten und selbst begründeten, unabhängigen Daseins ausgedient. Längst ist das Land wieder zur Projektionsfläche von Ursprünglichkeit und freiheitlichem Leben geworden. Die Städter drängt es hinaus. Dreiundfünfzig Prozent der zweiundachtzig Millionen Deutschen wollen laut Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung auf dem Land leben. Sie wollen ihr Häuschen im Ländlichen, sie wollen »im Einklang sein« mit der Linde. Sie wollen ihre Kinder nicht auf computeranimiertem Rasen spielen sehen, sondern auf echtem Grün, durchpflügt vom Maulwurf. Wo soll aber dieser Trupp sehnsüchtiger Leute hin, wenn auch das Land meistens schon zugepflastert ist und autofreie Einkaufszonen hat? Brandenburg ist die Rettung! Hier riecht und schmeckt man das Leben noch, hier ist die Wirklichkeit noch selbst geerntet. Da kann der Nebel vom Elbufer hochziehen und die Deiche unsichtbar machen, hier darf das Wildschwein in der Terrassenbepflanzung wühlen, da breiten sich Brennnesselfelder auf dem Dorfanger aus, hier kreuzt eine Herde Kühe die Straße, da sieht eine Dorfkneipe noch so aus, als wäre sie aus einem alten Schwarz-Weiß-Film ausgeschnitten worden, und dieses Grün, dieses endlose, verschlingende Grün … Der Geist geht zu Fuß. Rousseau lächelt aus der Ferne leise herüber, der Naturphilosoph, der das alles schon vor Hunderten von Jahren wusste, und Turnvater Jahn, dem eine Straße im kleinen Örtchen Brieselang gewidmet ist, hebt die Hand zum sportlichen Gruß. Denn in dem Wunsch, aufs Land zu ziehen, steckt auch ein bisschen der Wunsch nach Unsterblichkeit; das Landleben macht per se gesund und körperlich fit. Schließlich muss man die wurmstichigen, also ungiftigen Äpfel auch selber ernten. Und wo könnte man das besser als im Havelland und im Oderbruch, zwei Gegenden in Brandenburg, wo die Obstbäume die größten Früchte tragen?
Das Havelland liegt eingebettet ins U der Havel, westlich von Berlin. Man erkennt es an den mittelhohen, knorrigen Bäumen, die von Juni (Kirschen) bis in den Oktober (Äpfel) rot leuchtende Früchte tragen
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