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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Querköpfe. Die Exoten. Die großen Außenseiter, die Brandenburg prägten.
Flaneure
    Und es gibt noch einen: Albert Einstein. Einstein hatte sich in Caputh niedergelassen. Ein holpriger Plattenweg zieht sich am Ufer des Templiner Sees entlang, an Biergärten, Zeltplätzen, Badestellen, an Ruderklubs und Cafés vorbei, Buchen auf der Land- und Schilfgürtel auf der Seeseite. Kanurennsportler vom Olympiastützpunkt am Luftschiffhafen zischen weit draußen über das Wasser, überholt von Ruderern mit Begleitboot, von dem aus der Trainer seine Anweisungen durchs Megafon ruft. Im Sommer ist die kleine Uferstraße verstopft mit Ausflüglern. Im Winter liegt sie glatt unterm Schnee, nur dürftig gestreut, ein wenig vernachlässigt und sehr idyllisch; eine Straße im Urlaub, so wie der Ort, in den sie führt.
    Mit der Seilfähre Tussy II gelangt man ebenfalls nach Caputh. Die Fähre verbindet Ortskern und Campingplatz. Im Winter sammeln sich Blessrallen, Wildenten und Mandarinenten an der Enge des eisfreien Gemündes. Von diesen Enten, so die Legende, leitet sich der Ortsname her. Caputh – auf das wendische »caputt« zurückgehend – bedeutet übersetzt Entenfänger. (Noch ist ungeklärt, ob die Menschen die Enten oder die Enten die Menschen fangen, von denen immer wieder welche bei dieser Unternehmung ins Eiswasser fallen). Dennoch wird Caputh mit langem U gesprochen, heißt also korrekterweise Capuuth oder, noch besser: Capooth. Denn wer den Namen genießerisch mit britisch gespitzter Lippe in die Länge zieht, hat in etwa den Tonfall getroffen, der zum Flanieren auf der Caputher Uferpromenade nötig ist. Die Promenade führt am Gemünde auf den Schwielowsee zu und fordert die Spaziergänger zu einer gewissen Attitüde heraus; ein bisschen abgehoben, ein bisschen modebewusster als sonst, aber nicht snobistisch. Snobismus und Brandenburg ist ein Widerspruch in sich. (Davon ausgenommen sind nur ein paar Einrichtungen, die von Nichtbrandenburgern für Nichtbrandenburger eröffnet und sofort mit Sicherheitsanlagen umgeben wurden.) In Caputh weiß man, dass man an den Charme eines eleganten britischen Badeortes (Sommer) oder eines schweizerischen Luftkurorts (Winter) nie heranreichen wird – die Uferpromenade ist mehr ein Promenädchen, der Krähenberg eher ein Krähenhügel. Das hält aber niemanden davon ab, mit Elementen dieses Charmes zu spielen; der kecke Hut, der bodenlange Mantel, das Einstecktuch müssen zum Flanierschritt schon sein. Caputh ist ein wenig altmodisch, äußerst lässig und auf die angenehmste Weise verlebt.
    Die Berliner halten es für einen Vorort vom Vorort von Berlin und bedauern jedes Wochenende erneut, dass sie noch immer nicht hierhergezogen sind. Aber nach Caputh zieht man nicht. In »Capooth« verbringt man das Wochenende, die Ferien, die Auszeit vom Alltag. Wochenendhäuser, Datschen, Grundstücke mit eigenhändig gezimmerten Holzhütten bedecken Hänge und Ufer. Im Winter sind die Bungalows dicht, die Fensterläden geschlossen. Auf den schmalen Dorfstraßen ist kein Mensch unterwegs. Der Schnee liegt dick auf den Dächern. Manchmal steigt ein dünner Rauchfaden steil aus einem der Schornsteine auf. Ein Hund bellt. Die Bäckerei hat geschlossen. Vom Himmel über dem Schwielowsee zieht eine blasse Röte heran, dunkelt ein, fällt auf die Eisflächen, auf denen sich Kinder beim Schlittschuhlauf versuchen, lässt sie in ihren dicken Anoraks frösteln, die Gesichter schon starr, die Hände erfroren beim Weg nach Hause. In der knackig kalten Luft hängt der Geruch nach Holzfeuer. Jemand macht ein Lagerfeuer im Schnee, der Widerschein der Flammen leuchtend am Ufer. Sonst ist alles dunkel. Die Häuserfronten abweisend in der beginnenden Nacht. Ein spiegelglatter Himmel. Die Sterne erbarmungslos klar. Auf der Straße die Schatten festgefrorener Blätter. Kein Schuhabdruck. Kein Laut mehr jetzt. Ein schwarzes Baumskelett markiert den Scheitelpunkt des Wegs. Dahinter Leere. Eine Leere, die aufs Wesentliche konzentriert.
    Brandenburgische Melancholie.
    Der Blues der Unsentimentalen.
    Befeuert von Korn, nicht von Cognac.
    Albert Einstein wollte in Caputh die Sommer verbringen. Sein rotes, elegantes Holzhaus steht auf einem Höhenzug mit Blick über den See und die Ausläufer der Fercher Berge. Steil steigt die Kopfsteinpflasterstraße an, geht dann in einen Sandweg über. Die Villen sind von jener ausgestorbenen Eleganz der vorletzten Jahrhundertwende, als Wohnräume verzierte Erker hatten und

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