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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Autos mit einer Kurbel gestartet wurden. Die Autos brachten Künstler und Bohemiens aus Berlin nach Caputh. Später wohnten Funktionäre hier, Professoren und Ärzte, deren Patienten sich für die Behandlung gern mit einer Handwerkerleistung erkenntlich zeigten, mit Hilfe beim Verlegen des Abwasserrohrs, der Terrassenplatten.
    Einsteins Bedürfnis nach Erholung und Einsamkeit erfüllte sich mit dem Häuschen am Waldrand nur vorübergehend. Bevor die Nazis ihn vertrieben, korrespondierte er von hier aus mit Mahatma Gandhi und Sigmund Freud. Auf der Dachterrasse trafen sich Nobelpreisträger der Physik und Chemie, Alfred Kerr, Max Liebermann und Arnold Zweig. Heute ist das Haus im Sommer von jungen Wissenschaftlern bewohnt, die mit Stipendien an Forschungsprojekten arbeiten. In die Häuser nebenan haben sich Maler, Hobbygärtner oder gestresste Rechtsanwälte eingekauft.
    Unten im Dorf leben noch ein paar alteingesessene Caputher. Sie betreiben die Cafés und Hotels, die kleinen Galerien, die Bootsverleihe und Saunen am See. Sie hüten die Säle des Landschlösschens. Der Fliesensaal im Souterrain ist ganz mit holländischen Kacheln bedeckt. Der Soldatenkönig ließ diesen ungewöhnlichen Gartensaal in dem vergleichsweise bescheidenen Gebäude einrichten, das ursprünglich Kurfürst Friedrich Wilhelm und seine Frau Dorothea bewohnten. Und der Park? Ach ja. Vom Schloss zieht er sich schwungvoll zum Wasser.
Darkroom von Potsdam
    Und nicht zu vergessen: der große Park. Der Park. Der Überpark. Der Park, der auf Berliner Flughäfen stellvertretend für ganz Brandenburg steht, den Japaner und Amerikaner und manchmal auch Münchner für die Grünanlage von Berlin halten und der für Potsdamer einfach da ist. Gewohnt. Liebevoll gepflegt, aber Alltag. Gegenwart. Nicht wegzudenken. Selbstverständlich liegt er da. Gleich hinterm Luisenplatz. Größer als die Innenstadt. Mittendrin im Leben und doch woanders. Sehr weit weg. Eine Gegenwelt. Die Utopie. Scheinbar unbehelligt von Systemwechseln und ideologischer Verbrämung wird der Park den Potsdamern zum Abbild dessen, was sie ohne die kriegerische Geschichte der letzten Jahrhunderte sein könnten: sorgenfrei.
    Spuren hinterlassen nur die Jahreszeiten. Farbige Scheinwerferbeleuchtung in Spätsommernächten. Frühherbstliche Blätterregen an der Friedenskirche. Raureif auf den Ringelblumen der großen Steinvasen. Novemberliche Auszehrung der Beete. Das Silvesterspiel der Feuerwerkskörper in den Fenstern des Schlosses. Die Februarstille der gefrorenen Wege. Und wie das Frühjahr beginnt. Wenn die Götter ausgepackt werden. Nackt stehen Diana, Juno, Jupiter vor dem an Spalieren grünenden Wein. Die Glastüren vor den Feigenbäumen auf den Schlossterrassen werden geöffnet – ist es schon Mai? Das matschige Laub in den Nischen der Flüsterbänke ist verschwunden. Als Kind verrenkte ich mir den Kopf in die dunkle Ecke des Mamors hinein, aus der das Geflüster meiner Mutter so überdeutlich drang, obwohl sie am anderen Ende und abgewandt von mir saß. Für Kinder und Verliebte sind diese überlangen, halbrunden Bänke gemacht. In der gesteigerten Deutlichkeit der marmornen Akustik nimmt das Gesagte die Aura von etwas Geheimnisvollem an.
    »Schloss Sanssouci machte in seiner grandiosen Einfachheit einen Eindruck auf mich, den ich nicht versuchen will durch Worte wiederzugeben … Leichtfüßig schweifte ich in den Gärten umher, die ich in solcher Pracht noch nie gesehen.« Die hier so begeistert über ihren Aufenthalt in Sanssouci schreibt, ist Johanna Schopenhauer. Sie sah den Park schon mit den schwungvollen, gut gelaunten Erweiterungen durch Peter Joseph Lenné. Sie konnte froh sein, dass sie so spät dran war. Zu Zeiten Friedrichs des Großen wäre sie weniger leichtfüßig durch den Park spaziert. Vielleicht wäre sie auch gar nicht hier spaziert. Sie wäre möglicherweise nicht hineingelassen worden. Der Preußenkönig hielt sein Lust-Haus weitgehend frauenfrei. Verirrte sich doch eine Dame in diesen »Darkroom von Potsdam«, wie ein Freund Sanssouci ironisch nennt, musste sie damit rechnen, mit wüsten Beschimpfungen belegt zu werden. Selbst Friedrichs Ehefrau wurde nur selten an der Tafelrunde im Sommerhaus gesehen. Der König begab sich von April bis Oktober bevorzugt in Herrengesellschaften aus Künstlern, Denkern, Architekten, Komponisten und Flötisten. Der wichtigste Gesprächspartner, François Voltaire, Autor der französischen Aufklärung, sorgte für

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