Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg
ihr einige Kompositionen widmete. Der Soldatenkönig hatte sich bei der Geburt seiner Tochter Sophie Dorothea ein Jahrhundert zuvor noch zu dem Spruch hinreißen lassen: »Mädchen muss man versaufen«. Zur Zeit der Befreiungskriege erfreute sich Eleonore Prochaska, wenn auch nur posthum, immerhin schon einer großen symbolischen Bedeutung.
Allzumenschliches
Bisher ist nichts von einer großen Zuwanderungswelle deutscher Singlefrauen in brandenburgische Brüche bekannt geworden. Aber es könnte sein, dass Sie, liebe Leser, sich in einen Finsterwalder Jungen vergucken, oder schon mit einer der raren Prignitzerinnen geflirtet haben und sich jetzt überlegen, wie weiter. Dann kann ich Ihnen versichern: Sie haben nichts zu befürchten. Es mag vielleicht hier und da Diskrepanzen aufgrund politischer Überzeugungen geben (Brandenburg ist SPD). Auch in der Frage der Wohnungsgestaltung können Meinungsverschiedenheiten auftreten. Bei manchen Märkern sieht die Wohnung so aus, als wäre ein großer Drang nach Gemütlichkeit, der auf frühere Entbehrungen zurückgeht, durch ein schlechtes Gewissen ausgebremst worden. Man sieht den Sitzmöbeln den Wunsch nach Fallenlassen an, sitzt dabei aber ziemlich gerade. Andere geben dem jahrhundertelang unterdrückten Gemütlichkeitsdrang hemmungslos nach. Sie haben ihre Wohnzimmer mit Komplettplüsch überzogen, in dem Sie beim Eintreten für immer versinken. Manchmal sorgt ein gesunder Hass auf die preußische Strenge für eine italisierende oder skandinaveske Ausgestaltung der Räumlichkeiten, über der Sie glatt vergessen könnten, wo Sie sich befinden, schwankte da nicht die Kiefer vorm Küchenfenster.
Zu groben Missverständnissen zwischen Ihnen und dem Menschen Ihres Herzens kann es in modischen Fragen kommen. Pink lackierte Nägel mit Glitzer in Überlänge oder ein winziger Diamantsplitter im Zahn bei den unter Zwanzigjährigen sollten Sie nicht schrecken, ebenso wenig hellblaue T-Shirts an über Fünfzigjährigen mit der Aufschrift: »Spendiert diesem Mann ein Bier!« Bei den Damen jeder Altersstufe sind Frisuren beliebt, die sich morgens mit wenig Aufwand in Form bringen lassen. Das Problem solcher Kurzhaarfrisuren ist: Sie machen nicht viel her. So kommt es, dass die Brandenburgerin auf dem Kopf zweifarbig ist. Färben geht immer. Und es kommt immer gut an. Im Haarefärben sind Brandenburgs Friseure Weltklasse. Unter zwei verschiedenen Tönen macht es niemand. Am beliebtesten sind Schwarz und Rot/Lila oder Hellbraun und Gold. Auf manchen Köpfen sieht man sogar ein kunstvolles vierfarbiges Schimmern.
Die Herren haben es leichter. Sie tragen einfach raspelkurz. So sieht man die Tattoos am Nacken besser, die für alle unter dreißig zwingend sind. Mutige tragen blaue Drachen oder gefährlich die Zähne fletschende Wölfe an der rasierten männlichen Wade. Nach einer solchen Tätowierung empfiehlt es sich, eine der Gummibundhosen zu kaufen, die nur bis zum Knie reichen und das Kunstwerk vorteilhaft ausstellen (und die Hose dann nie wieder auszuziehen.)
Lange Grundsatzdiskussion werden Sie mit Ihrem brandenburgischen Herzensmenschen dennoch nicht führen müssen. Vielleicht werden Sie angeraunzt. Aber wie gesagt: alles Auslegungssache. Es kann sich genauso gut um einen Ausdruck gutmütigen Einlenkens handeln. Im Grunde weiß man aus Erfahrung: Wenn man nicht groß drüber redet, erledigen sich Diskrepanzen nach einer Weile von selbst.
Der große Manitu
Sollten Sie einer der Weltreligionen anhängen, könnten Sie allerdings Probleme bekommen. Wenn Sie ernsthaft vorhaben, Ihren Glauben zu praktizieren, sieht es düster aus. Sie werden bestenfalls auf ein paar versprengte Protestanten stoßen. Die sind allerdings so froh über den unverhofften Zulauf, dass sie ihre Gemeinde gern auch für katholische, jüdische oder buddhistische Anliegen öffnen. Auf die aufgeschlossene, unreligiöse Haltung der Großstädter nebenan ist man in Brandenburg dagegen gut vorbereitet. Sie lässt sich leicht mit der gründlich atheistischen Überzeugung der Einheimischen vereinen. Zwar hat jedes brandenburgische Dorf seine aus Lesesteinen errichtete Feldsteinkirche. Dennoch sind die Brandenburger Heiden. Ein paar von ihnen mögen einem Privatkatholizismus nachhängen, andere zum Qigong gehen, aber vom einstigen strengen Protestantismus ist wenig übrig geblieben. Die sozialistische Religionsentsorgung war sorgfältig. Aus den sparsamen, verkargten Protestanten wurden konfessionslose Vorkämpfer
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