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Gebrauchsanweisung für Schwaben

Gebrauchsanweisung für Schwaben

Titel: Gebrauchsanweisung für Schwaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Hunger
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nehmen lassen – mit der Frage, was das Schönste an ihrer Stadt sei. Alberne Antwort: die Autobahn nach München. Darauf fielen zwei Gattungen von Menschen nicht herein: die Streckenkundigen und die Leselustigen. Die einen kannten die Tristesse der Route ins Bayerische, die anderen zitierten den Brief des Dichters Joachim Ringelnatz aus dem Jahr 1928: »Ja, Stuttgart ist schön, gegen dies Scheißmünchen ein Paris.«
    Die Wertschätzung der Schwabenmetropole ist auch bei deutschen Fußballfans während der Weltmeisterschaft 2006 angekommen. Als sich die Kicker des aus Stuttgart-Botnang stammenden Jürgen Klinsmann vom Endspieltraum verabschieden mußten, skandierten die Schlachtenbummler in halb Deutschland: »Stuttgart ist viel schöner als Berlin«. Denn in Stuttgart wurde das Spiel um den dritten Platz ruhmreich gewonnen. Berlin hingegen mußte sich mit einem Finale ohne Ballack & Co. begnügen.
    So paßt es wirklich in die Zeit, daß die »Welt am Sonntag« nach der WM vermeldete: »Stuttgart ist wirklich schöner als Berlin, nur hat sich das noch nicht herumgesprochen.«
     
    Das Schönste an Stuttgart? Vielleicht das Ankommen. Da quält den informierten Reisenden die Wahl. Denn in diese Stadt führen mindestens so viele Wege wie nach Rom.
    Der luftigste Zugang führt über den Stuttgarter Flughafen, der draußen exterritorial inmitten der Filderfelder liegt. Zugegeben, das ist doppelt gemoppelt, weil Filder ja schon Felder heißt. Aber es hat den Vorteil, daß Reisende in den Herbstwochen gleich in den Genuß des wundervollen Filderkraut-Parfüms kommen. Man weiß selbst in finsterer Nacht, wo man gelandet ist – inmitten von Spitzköpfen. Das können weder London noch New York bieten, höchstens Peking, wenn im fernen Osten der Chinakohl geerntet wird. Jahrelang haben die hartschlägigen Bauern ihre Äcker gegen Flughafenerweiterung und Messeneubau verteidigt, den Staat eine Gauner- und Räuberbande genannt – und dann ihre Quadratmeter versilbert. So renditeträchtig ist nicht einmal die Riester-Rente.
    Wer die Bahn bevorzugt, kommt nicht umhin, die Stadt – des schönen Ausblicks halber – von Zürich, Horb und Böblingen her anzufahren. Dann kurvt der Passagier, staunenden Auges am Fenster stehend, um die halbe Nordstadt – und fährt gleich noch durch den Tunnel am Azenberg. Der ist bekannt, allerdings nicht ganz so berühmt wie der Cannstatter Tunnel, dem sogar ein unsterbliches Gedicht gewidmet wurde: »Zwischen Schduegert ond Cannstatt, do steht a Tunell, wenn mr neifährt, wird’s dunkel, wenn mr rausfährt, wird’s hell.« Dem Reim ist leicht zu entnehmen, daß der Schwabe nicht »Tunnel« sagt, sondern »Tunell«. Selbiges ist hierzulande immer noch sächlich: das Tunell. Gell?
    Eine weitere pittoreske Annäherungsmöglichkeit ist die Stuttgarter Zahnradbahn, die »Zacke«, in die man droben am Degerlocher Albplatz umsteigt und dann hinunterrattert über eine der ältesten Straßen der Stadt, die Alte Weinsteige, bis zum Marienplatz. Diese Alte Weinsteige ist nicht nur deshalb wichtig, weil dort Vincent Klinks Edelrestaurant Wielandshöhe mit einer eigenen Haltestelle liegt. Sondern auch deshalb, weil die Weinsteige einst das weinfröhliche württembergische Unterland vom bier- und hopfenherben Oberland trennte. Genaugenommen tut sie das heute noch, weshalb die Tour mit der Zahnradbahn zu einem grenzüberschreitenden Erlebnis wird.
    Hätten die Verkehrspolitiker vor Jahrzehnten anders entschieden, wäre auch die Straßenbahnfahrt über die Neue Weinsteige noch ein Panoramaerlebnis, Marke San Francisco. Doch was taten sie in ihrer Sparwut? Sie steckten die Bahn in eine Röhre samt Alibifenster und ließen die Benzinkutschen an der frischen Luft. Deshalb dürfen jetzt die Automobilisten, ob sie die Weinsteige oder die Gerokstraße herunterrollen, einen der schönsten Blicke auf die Stadt werfen. Wer glaubt, das sei ein flüchtiges Vergnügen, der kennt die Staus auf diesen Strecken nicht. Keine Angst, es bleibt genügend Zeit fürs Schauen und Staunen.
    Schließlich führt auch noch eine historische Standseilbahn hinunter in die Stadt. Allerdings nicht von einem der imaginären Stadttore aus, sondern vom hoch gelegenen Waldfriedhof. Auf den verirren sich Besucher nur aus traurigem Anlaß oder wenn sie die Ehrengräber von Robert Bosch oder Theodor Heuss besuchen. Heuss ist als Ruheständler 1963 von seinem Häusle am Feuerbacher Weg hier heraufgekommen, der ewigen Ruhe halber. Fast hätte er

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