Gebrauchsanweisung für Schwaben
sieben Bergen. Es sind keine hochragenden Felsmassive, sondern milde, zum Teil von Rebstöcken bestandene Hügel mit schönen Namen wie Frauenkopf, Hasenberg, Birkenkopf, Killesberg, Uhlandshöhe, Kriegsberg oder Hoher Bopser. Und höher als die sieben römischen Hügel sind sie auch – ehrlich!
Von diesen Höhen aus haben die Bürger immer gern und ein bißchen stolz auf das Häuser- und Straßengewirr hinuntergeblickt. Die schönsten Aussichtspunkte sind nicht nur in der Silvesternacht, beim Neujahrsfeuerwerk, gut besucht. Da wäre, erstens und höchstens, die Aussichtsplattform des 217 Meter hohen Fernsehturms – jener 1956 errichteten, eleganten Stütze des Stuttgarter Himmels, die für viele TV-Nadeln in aller Welt zum Vorbild wurde. Dann vom Bismarckturm im Norden aus, der seit 1904 so heißt, obwohl der Name manche politischen Saubermänner stört. Drittens vom Eugensplatz aus. Dort kann man nicht nur das Stadtpanorama, sondern auch Stuttgarts eindrucksvollsten Damenhintern bewundern – das barocke Prachtsgesäß der Brunnenlady Galatea. 1890 haben die wohlgeformten Backen dieser steinernen Nymphe einen Skandal verursacht, obwohl sie im Original nicht, wie vermutet, einer Hofgrazie gehörten, sondern einer Berliner Schuhmacherstochter. Heute dienen sie jüngeren Damen im Gespräch mit ihren Begleitern allenfalls der Selbstvergewisserung: »Du, aber so oin han i net, gell!«
Den begehrtesten und am leichtesten, weil mit einem Fahrstuhl erreichbaren Ausblick bietet das Restaurant des neuen städtischen Kunstmuseums am Schloßplatz. Viele Schaulustige täuschen ihr Kunstinteresse nur vor, um rasch einen Platz in der ersten Reihe des Restaurants »Cube« zu ergattern – des Panoramas wegen. Viele gehen leer aus, denn die Reservierungsfrist liegt bei vier Wochen. Doch wer sein Ziel erreicht hat, dem bleibt nur ein beglücktes Seufzen: »Da liegt’s, onser Schduegert« – ein grünes Amphitheater mit Schlössern, Kirchtürmen, Bürgerhäusern, Parks und Wäldern. Einfach schee.
Vielen Auswärtigen bleibt es ein Rätsel: Wie konnte man in grauer Gründungsvorzeit eine Stadt in diesem stillen Winkel verstecken, in dem sich, manchmal noch heute, Fuchs und Has gute Nacht sagen? Wo man doch in Cannstatt, dem alten Römerkastell drunten am Neckar, einen Siedlungsplatz hatte, der sogar dem Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz noch im 17. Jahrhundert hauptstadtwürdig erschien?
Der Einheimische, der seine Landesgeschichte im Kopf hat, liefert gern die Erklärung. Die einstigen Grafen von Württemberg, womöglich aus Luxemburg eingewandert, hatten eines Tages schlicht genug. Genug davon, in ihrer erstmals 1083 genannten Burg auf dem Hausberg beim heutigen Stadtteil Rotenberg wie auf einem Präsentierteller zu thronen. Die Aussicht vom Württemberg herunter war zwar fabelhaft. Aber jede vorüberkommende Truppe, ob es die Kaiserlichen waren, die Esslinger oder andere Räuber, hielt sich für verpflichtet, die bescheidene Behausung zu überfallen, auszuplündern und anzuzünden – und die offizielle Grabstätte im nahen Beutelsbach zu schänden. Weil diese Grafen weder das Zeug zu Helden noch zu Märtyrern hatten und weil ihnen die Renovierungskosten auf die Dauer zu hoch schienen, suchten sie sich im 13. Jahrhundert einen ruhigen Winkel, ganz hinten, ganz drunten im Nesenbachtal. Dort hatten seit 950 die Pferde des sagenhaften Schwabenherzogs Ludolf friedlich das Gras des sumpfigen Stutengartens abgeweidet, wovon noch heute der Name und das Rößles-Wappen der Stadt zeugen. Inzwischen war dort eine Siedlung entstanden, weit ab vom Schuß – aber das war den Württembergern »grad recht wie’s Wildbad«. Hier fühlten sie sich in ihrem neuangelegten Wasserschloß sicher. Die geographische Wahl entwickelte sich von nun an zum prägenden Element der Stadt, in positiver wie in negativer Hinsicht.
Stäffelesrutscher und Maulwürfe
Als Segen empfinden die Stuttgarter und ihre Besucher den Umstand, daß die Stadt grün ist. Ja, streckenweise auch politisch, aber vor allem botanisch und landschaftlich: eichengrün, birkengrün, tannengrün, grasgrün, buschgrün, moosgrün. Das »Beispiel einer Spaziergehstadt« hat ein Schriftsteller sie genannt. Wo gibt es das noch, daß die Hälfte einer Großstadtgemarkung aus Wald, Wiesen, Ackern und Parks besteht? Und aus Weinbergen, die Stuttgart nach wie vor zur weinseligsten aller Großstädte machen? Daß an einer Straße, die seit alten Zeiten Weinsteige heißt, noch
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