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Gebrauchsanweisung für Schwaben

Gebrauchsanweisung für Schwaben

Titel: Gebrauchsanweisung für Schwaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Hunger
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Reben wachsen, ist in Württemberg Ehrensache. Daß die Karlshöhe noch bestockt ist und die Mönchhalde dazu, freut den Trollinger-Süffler. Den Höhepunkt aber bildet der Kriegsberg, nur ein paar hundert Meter vorn Hauptbahnhof entfernt. Schon wieder ist ein Superlativ fällig. Der Rebensaft, den ausgerechnet die Industrie- und Handelskammer auf diesem Hang exklusiv erzeugt, ist vielleicht nicht der edelste, aber mit Sicherheit der teuerste der Welt. Man muß nur die exorbitanten Quadratmeterpreise der Stuttgarter City anlegen, um jedes Gläschen Riesling wie flüssiges Gold zu genießen.
    Es grünt also üppig in Stuttgart: vom Höhenpark Killesberg hinunter bis zum Schloß Rosenstein – und in Form eines großen U bis hinein bis in die Innenstadt, vor das Neue Schloß. Ehrgeizige Planer wollen jetzt sogar das ganze Neckartal von Plochingen bis Besigheim zu einem Flußpark entwickeln. »Neckaribik« heißt das peppige Stichwort, und bei Cannstatt schlürfen junge Leute schon zur Sommerzeit ihren Mojito auf einem eigens angelegten Sandstrand. Umfragen, von denen das Rathaus gar nicht genug bekommen kann, bestätigen es immer wieder: Stuttgart ist die bei ihren Einwohnern meistgeliebte Großstadt Deutschlands. Die Bürger schätzen die Lebensqualität und den Freizeitwert ihrer Kommune, vor allem die Tatsache, daß man gleich neben der Königstraße, neben dem Neuen Schloß schon mitten in den »Anlagen« steht. So bescheiden werden jene Grünflächen bezeichnet, die anderswo unweigerlich den Titel »Schloßpark« trügen. Außerdem sind die Stuttgarter sicher, daß es – von der reizvollen, hügelreichen Lage her gesehen – höchstens Florenz mit ihrer Stadt aufnehmen könne. Und vielleicht noch Rio, aber auch nur, weil die Brasilianer statt des Neckars die ganze Copacabana vor der Haustür haben. Die Schwaben trösten sich: Wenigstens droht ihnen kein Tsunami. Und sie zitieren im Geist jenes alte und ewig gültige Gedicht von Karl Gerok, das an sommerlichen Tagen trotz aller erhöhten Feinstaubwerte immer noch gilt: »Da liegst du nun im Sonnenglanz, schön wie ich je dich sah …«
    Soweit zum Segen der Hügelherrlichkeit. Der Fluch läßt nicht auf sich warten. Er besteht darin, daß das Auf und Ab rund um die Stadt keinen Verkehrsring zugelassen hat – weder für die Autos noch für die Bahnen. So rollt alles, was Räder hat, mitten durch die Stadtschüssel, über die gleichen Kreuzungen und Knotenpunkte hinweg. Was das bedeutet, kann der Besucher selbst testen, indem er versucht, zur Hauptverkehrszeit über die Bundesstraße 27 zu kommen oder einen Platz in einer S- oder U-Bahn zu finden. Da wird es, trotz aller Verkehrsleitcomputer, gottsallmächtig eng in Staugart; der solide Vorrat an Gleichmut und Heiterkeit schrumpft in solchen Stoßzeiten ein wenig zusammen.
    Das Oben und das Unten ist hier nicht nur eine geographische Größe, sondern auch eine soziale. Denn drunten, in Untertürkheim, in Cannstatt, in Feuerbach und Zuffenhausen, wird in den Fabriken schichtweise, mal mit, mal ohne die hier erfundene Steinkühler-Pause, am Band geschafft und das Bruttosozialprodukt erwirtschaftet. Ganz oben, auf dem Killesberg, auf dem Frauenkopf, wohnt der Geldadel – und in den Villen der vielbeneideten Halbhöhenlage sitzen »die rechten Leute«, und mit ihnen der Wohlstand. Was der Begriff »Aufstieg« bedeutet, lernen die Stuttgarter Buben und Mädchen schon im Kinderwagen.
    Andererseits, wo alles in die Höhe strebt, findet sich die Rettung manchmal im Untergrund. Um die ewige Berg- und Talbahn zu unterbrechen, mußten die Stuttgarter von jeher graben – Tunnel für Bundesstraßen, Tunnel für Stadtstraßen, Tunnel für Busse und Bahnen. Halbe Stadtteile stehen auf solchen Verkehrsröhren, ja sogar der Hauptfriedhof Steinhaldenfeld wird in schicklicher Tiefe von der Stadtbahn unterquert. Trotz entsprechender Befürchtungen hat sich bisher noch kein Verblichener wegen unterirdischer Störung der Totenruhe beklagt. Das bißchen Gerümpel hält ein Schwabe aus, ob lebendig oder tot. Und der Vorschlag, das hüpfende Rößle aus dem Stadtwappen zu entfernen und es, der dauernden »Wuhlerei« wegen, durch einen Maulwurf zu ersetzen, hat bisher keine Mehrheit gefunden.
    Wer aber, im Zuge moderner Zeiten, versucht, die Stadt mit dem Fahrrad zu erkunden, dem fährt die Topographie in die Waden. Dauernd geht es irgendwie bergauf, mal mild wie im Stuttgarter Westen, mal alpin wie auf der Alten Weinsteige. Wo die Höhe

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