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Gebrauchsanweisung für Schwaben

Gebrauchsanweisung für Schwaben

Titel: Gebrauchsanweisung für Schwaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Hunger
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schon von 1949 an am Nesenbach residieren können – wäre Stuttgart damals nicht als Bewerberin für die neue Bundeshauptstadt knapp gescheitert. Heuss hat Bonn den Etappensieg nicht übelgenommen, die Stuttgarter haben die Niederlage längst verziehen. Sie wissen, was ihnen erspart blieb.
    Leider benutzen nur wenige Besucher die erwähnten, extra für sie angelegten Einflug- und Einrollschneisen. Die meisten kommen durch die dunklen Tunnel der B 14 oder der S-Bahnstrecken. Da sieht man von der Landeshauptstadt weder das Häusermeer noch das abendliche Lichtermeer, sondern, sorry für den Kalauer: gar nichts mehr.
»Viel Jugend unterwegs«
    Egal, wo er herkommt, irgendwann landet der Mensch, der Schwerkraft folgend, unweigerlich in Downtown-Stuttgart, einem Ort, den die Stadtwerber am liebsten S-City nennen. Noch vor ein paar Jahren fragte die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« herablassend: »Im Ernst, käme je einer auf den Gedanken hinzuschreiben: Stuttgart leuchtet?« Und jetzt, o heiliger, München preisender Thomas Mann, steht genau dies auf den Werbeplakaten. Es muß sich also etwas geändert haben rund um den Schloßplatz und seine Jubiläumssäule, auf der Flaniermeile der Königstraße, die, anders als in Düsseldorf, nicht zu »Kö« amputiert wird – zwei Silben sind die ehemaligen Herrscher ihren Bürgern noch wert.
    Vieles ist neu in diesem Revier des Bummelns und Kaufens, des Sehens und Gesehenwerdens, des mobilen Essens und Trinkens. Schon damals hatte die FAZ konstatiert: »Viel Jugend ist hier unterwegs, auch ausländische, auch farbige, nackte Beine in den Wasserbecken, junge Mütter, Radfahrer, dann Penner …« Letztgenannte hat die Polizei mit dem Mittel der Platzverbote vertrieben, damit sie die Kauflaune der Konsumisten nicht trüben können. Von denen wallfahren immer mehr in die neuen Einkaufstempel, in denen manchmal die Masse der Klasse das Wasser abgräbt. Als das neueste Exemplar, die glanzvollen Königsbau-Passagen, eingeweiht wurde, jubelte eine große Stuttgarter Zeitung: die Innenstadt rücke endlich Metropolen wie Wien, Paris und London näher.
    Nur eine Gattung Mensch, die hier ihr Biotop hatte, ist ausgestorben: die des Königstraßen-Löwen. Darunter verstand man einst diese adretten, im Frack und Zylinder durch die Straße flanierenden, nach Eau de Cologne riechenden Schwaben-Dandys, die durch einen »Zwicker« verachtungsvoll auf die übrige Welt herabsahen und so den dämlichen »Schönheiten« imponieren wollten.
    Frack? Eau de Cologne? Vorbei, vorbei. Heute riecht es in der Königstraße nach Pfannkuchen, Bratwürsten und Kebab, und ausgestorben sind auch die Damen, die sich für einen Einkaufsbummel stadtfein machten. Dafür strömen bauchfrei gewandete Mädels in tiefergelegten Jeans und dicksohligen Turnschuhen durch die Klamottenläden, und der Sprache dieser Punk-Lolitas ist nicht anzuhören, ob ihre Eltern vom Bosporus oder aus Böblingen kommen. Egal. Hauptsache, das nächste Happening, die nächste Party, das nächste Event ist nah, pardon: »geht ab«.
     
    Daran fehlt es dank eines fleißigen Veranstaltungsmanagements nie. Ob Flohmarkt, Autohappening, Popkonzert oder Sommerfest mit weißen Zelten, ob bierseliges Cannstatter Volksfest, Weindorf oder pittoresker Weihnachtsmarkt, der Stuttgarter Festkalender hat immer etwas zu bieten. Wobei sich Weindorf und Weihnachtsmarkt, beide neuerdings besonders von Touristen aus China und der Schweiz heimgesucht, nur in zweierlei unterscheiden: in der Jahreszeit und in dem Umstand, daß der Wein einmal kühl, das andere Mal aufgekocht mit Zimt und Zucker ausgeschenkt wird. Die beglückende Wirkung ist indes dieselbe.
    US-Touristen sind manchmal von Stuttgart enttäuscht. Einfach deshalb, weil sie es nicht schaffen, alle Attraktionen innerhalb von 24 Stunden abzuhaken. Gut, die von den Stuttgartern heißgeliebten Kulturtempel der Oper, des Theaters und des Balletts, allesamt hochrenommiert, sind auf Zufallsbesucher sowieso kaum eingerichtet. Die Karten sind lange im voraus vergriffen. Aber selbst die anderen Magnete sind nicht im Hui abzuarbeiten: die renommierte Staatsgalerie mit ihrem Neubau von James Stirling, das daneben liegende »Haus der Geschichte«, der neue Glaskubus des städtischen Kunstmuseums am Schloßplatz, das Landesmuseum im Alten Schloß, das Lindenmuseum. Dazu die funkelnagelneue Mercedes-Welt, das spektakuläre Automuseum von Daimler-Chrysler nahe dem Untertürkheimer Stammwerk. Nebenbei, Zuffenhausen

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