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Gebrauchsanweisung für Schwaben

Gebrauchsanweisung für Schwaben

Titel: Gebrauchsanweisung für Schwaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Hunger
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frühere Südwestfunkintendant, Professor Hans Bausch, die Filmproduktionen des Senders nach München vergab. Die erregten Einwände, Stuttgart sei doch auch nicht ohne und im übrigen existiere hier das Weltzentrum der Bibelherstellung, die Bibelanstalt, beantwortete Bausch mit einem einzigen Wort: »Eben.« An diesem Zustand wird sich auch nach weiteren großartigen Imagekampagnen so schnell nichts ändern.
    Da hilft nur lockere Großzügigkeit, so wie sie einst ein Stuttgarter Straßenbahnschaffner einer jungen Dame gegenüber zeigte. Sie wollte ins Mineralbad Berg, hatte aber finanziell nicht vorgesorgt und nur – in alter Währung – eine Mark und fünfzig Pfennige dabei. Das reichte nur bis zwei Haltestellen vor dem Ziel. »Ha ja«, meinte der Schaffner mitleidsvoll, »die restliche zwei Haltestelle nehm i Sie mit. Aber wie kommet Se dann ins Bad?« Dachte kurz nach, öffnete seinen Geldbeutel und gab dem Fräulein eine Münze, die für den Eintritt reichte. Natürlich versprach sie, ihm das Geld zurückzugeben. Aber der Kavalier sprach trocken: »Net nötig, von dem werd i auch net reich.«
    Fünfe grad sein lassen – das gäbe es heute nimmer? Doch. Da saßen abends Vater, Mutter und zwei Brüder im S-Bahnzug von Marbach hinein ins Gottlieb-Daimler-Stadion, wo der VfB ein Heimspiel hatte. Alle hatte ihre Eintrittskarten dabei, die auch als Fahrkarten gelten, nur der Jüngste nicht. Der sollte das Ticket angeblich erst vor dem Stadion von einem Freund bekommen. Prompt erschien eine gestrenge Kontrolleurin. Das Manko wurde offenbar – und eigentlich waren jetzt 60 Euro Strafe fällig. Aber die Kontrolldame lachte: »Paß auf, Büble. Jetzt schrei’sch im Stadion b’sonders laut für da Vaueffbee – und wink’sch ganz arg. I guck mir des Spiel im Fernseha a – und wenn ich dich seh, isch alles in Ordnung.«
    Es wurde noch ein schöner Abend, das Büble schrie wie ein Verrückter – und der VfB spielte unentschieden. Aber für die schwäbische Großzügigkeit stand es eins zu null.

Sodele. Gell.
     
     
     
    Der Spaß hat sämtliche Mühen überdauert. Eindeutig. Das sei vorweg gesagt. Aber die Mühen waren größer, als ich es mir zunächst vorgestellt hatte, nachdem ich bei einem bayerischrustikalen Mittagessen im Münchner Georgenhof dem Piper Verlag die »Gebrauchsanweisung für Schwaben« zugesagt hatte. Selbstverständlich hatte ich ausreichend Material – am eigenen Leib Erfahrenes und Niedergeschriebenes aus der schwäbisch-pietistischen Gemeinde Dettingen an der Erms, in der ich aufgewachsen bin. Aus »Boss-Town« Metzingen, wo ich meine Bleisetzerlehre absolvierte und später ein journalistisches Volontariat anhängte. Aus der Universitätsstadt Tübingen, die ich als Student heimsuchen durfte. Aus der »Stuttgarter Zeitung«, die damals noch die Redaktionskollegen unterschied in rechtschaffene (kommen von der Schwäbischen Alb) und domestizierte (kommen aus Stuttgart). Und schließlich aus der Porsche AG in Stuttgart-Zuffenhausen mit einem wegen »Sparsamkeit ausgewiesenen Westfalen« als Chef, wie es der Betriebsratsvorsitzende vor versammelter Belegschaft treffend kundtat.
    Ja, Erfahrung, Selbstgeschriebenes, Gelerntes und Angelesenes waren da. Aber aus all dem sollte ein in sich geschlossenes Werk komponiert werden. Ob ich denn nichts Besseres zu tun hätte, wurde ich mehr als einmal gefragt, weil ich Wochenenden und Urlaube opferte. Und diese Frage stellte nicht nur meine Frau.
    Nein, ich wollte nichts Besseres tun. Ich bin zwar katholisch-bayerisch geboren, denke, fühle und handle aber pietistisch-schwäbisch. Und noch etwas: Ich sympathisiere mit diesem Volksstamm.
    Der Schwabe ist kein Großkotz, er redet zwar laut und bisweilen mißverständlich, aber er kann auch Schweigen – bis sein nichtschwäbischer Partner vor Verzweiflung rasend wird. Wo andere lachen, sitzt er jede Pointe aus. Das macht ihn stark, vermittelt aber den Eindruck des Hilflosen, des Schwächeren. Mit diesem falschen Image lebt er nun schon seit Jahrtausenden.
    Diese Attitüde erfährt Sympathie – und in jüngster Zeit eine immer größere. Denn Sympathie gilt im Zweifel dem vermeintlich Schwächeren, weil wir uns in seine Gefühlslage hineinversetzen können. Der Starke hat Kraft, den Schwachen kostet es immer Kraft, Siege zu erringen. Und der Schwabe siegt gern, weshalb er sich immer anstrengt. Auch wenn er keine Chance hat, versucht er es. Niemand kann ihn daran hindern, unbeirrbar geht er seinen Weg und

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