Gebrauchsanweisung für Schwaben
sich die Einheimischen immer noch in den kleinen Beizle, in den Weinlokalen abseits der Königstraße, ob in der sagenhaften »Kiste«, bei der »Kochenbas« oder draußen in den Vororten, winters auch in zahlreichen Besenwirtschaften. Fremde sind hier gern zugelassen, wenn sie sich anständig benehmen. Das heißt, wenn sie keinen australischen Wein bestellen, nicht laut herumschreien, die Kellnerin nicht kneifen – und wenn sie ohne Murren essen, was auf den Tisch kommt.
An Stuttgarter Stammtischen
Die schwäbische Stammbesatzung solcher Kneipen und Stammtische, früher rein männlich geprägt, heute auch weiblich aufgelockert, ist durchaus liberal gesinnt und hält es mit Friedrich Hölderlins Versen: »Sei uns hold! Dem Gast und dem Sohn, o Fürstin der Heimat! Glückliches Stuttgart, nimm freundlich den Fremdling mir auf!« Schließlich sollen die Preußen, die Hanseaten und die Chinesen, die hierherkommen, auch etwas von der großen Gemütlichkeit haben. Und erleben, wo der demokratische Geist dieses Landstrichs seinen Ursprung hat: in der freien Rede am Wirtshaustisch.
Bei aller Freiheit gibt es freilich auch einige Themen, die der Auswärtige lieber nicht ansprechen sollte. Erstens: Stuttgart 21, jenes futuristische Bahnprojekt, das ganz Stuttgart unterqueren und so von seiner Kessellage befreien soll. Darüber streiten die Stuttgarter mit Land und Bund seit mehr als einem Jahrzehnt und sie haben keine Lust, ahnungslosen Neuankömmlingen die Feinheiten von Kopf-, Sack- und Durchgangsbahnhof zu erklären. Da »isch älles g’schwätzt«, wie der Landsmann sagt. Und er denkt dabei an das Neue Testament, Hebräer 6, Vers 15: »… also trug er Geduld und erlangte die Verheißung«.
Zweites Tabuthema: die Kehrwoche. Der Stuttgarter hat es nun einmal gern reinlich, auch wenn die Stadt die Abfallkörbe abmontiert, auch wenn seine Frau daheim nicht mehr dreimal die Woche das Parkett bohnert, »damit mr vom Boda essa ka«. Und er hat es satt, sich von jedem neu zugelaufenen Zeitungsvolontär durch den Kakao ziehen zu lassen. Die Wirklichkeit ist so einfach: Offiziell ist die Kehrwoche von der Stadt abgeschafft worden. Inoffiziell werden weiterhin Treppenhaus und Trottoir gefegt, »beginnend mit jedem Sonntag früh«, bis der gröbste Dreck weg ist: »In dieser Woche ist die Reihe an Ihnen.« Ausrufezeichen.
Der letzte große Streik der Müllmänner hat allerdings eine furchterregende Toleranz der Stuttgarter gegenüber Kutterbergen gezeitigt. Sie blieben ruhig, obwohl es an manchen Stellen der Stadt wieder aussah wie im Mittelalter. Damals galt Stuttgart als »sagenhaft schmutzig«. Selbst vor 250 Jahren beklagte ein Zeitgenosse die »eminente Unreinlichkeit«. Jeder Wengerter im Bohnenviertel entsorgte seinen Trester und seine tote Katze im nächsten Graben, und vor dem Haus dampfte der Dung. Das steckt im Hinterkopf; vor solchem Mist und vor dem Gestank aus »Cloak und heimlichen Gemachen« wollten seit 1492 zahlreiche Sauberkeitsverordnungen die Bürger bewahren. Dabei soll es bleiben. Vielleicht, wer weiß, wird die Kehrwoche irgendwann auf die Liste des Unesco-Weltkulturerbes gesetzt. Dann guckt die Welt. Ach was, sie glotzt!
Wenig stimmungsfördernd ist es auch, am Stammtisch nach dem Verlauf des Nesenbachs zu fragen, den man gesucht, aber nicht gefunden habe. Da trifft man auf einen wunden Punkt, weil es diesen Nesenbach ja tatsächlich gibt. Schon Mörikes Schuster-Seppe hat ihn im »Hutzelmännlein« spöttisch besungen: »Scheraschleifer, wetz, wetz, wetz, / laß die Rädle schnurra! / Stuagart ist a grauße Stadt, / lauft a Gänsbach dura.« Früher war dieser Gänsebach ein stinkender Graben namens »Wälzimdreck«, in den Übeltäter zwecks Läuterung getunkt wurden. Oft war er Quell heftiger Überschwemmungen. Mal hatte er zuviel, mal zuwenig Wasser, keinem konnte er es recht machen. Doch seit er diskret in einem Kanalrohr versteckt wurde, wollen ihn alle sehen. Bloß die Stammtischbrüder nicht: »Der stenkt«, heißt es, und »do hat’s Ratta.«
Auch die Frage nach der Stuttgarter Schickeria erübrigt sich. Da verstummt der Schwabe und guckt in die Luft. Weil es hier nämlich durchaus gescheite, gutverdienende, tüchtige, ja sogar prominente Menschen, Manager, Schauspieler gibt. Aber die sind meist nicht willens, etwas mitzumachen, was man »Lebtag« nennt. Einmal Faschingsball, einmal Rundfunk-Ball, die Bambi-Verleihung vielleicht, das muß genügen. Stuttgart ist eine sachliche Stadt mit
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