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Gebrauchsanweisung für Schwaben

Gebrauchsanweisung für Schwaben

Titel: Gebrauchsanweisung für Schwaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Hunger
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Kupferdraht erfunden worden. Die Wirklichkeit aber, sagt der in Stuttgart lebende Sachse und Verleger Ulrich Frank-Planitz, sehe ganz anders aus: Die Schwaben seien wegen Verschwendungssucht ausgewiesene Sachsen. Denn rund um Leipzig und Dresden sei die Sparquote einst viel höher gewesen als im Stuttgarter Talkessel. Das mag sein, doch Ministerpräsident Günther Oettinger hat jüngst wieder ein leuchtendes Sparbeispiel gegeben. Wenn er als Ehrengast Spiele des VfB Stuttgart besuche, also ohne einen Pfennig für Show, Speis und Trank zu bezahlen, dann sei das »gelebtes Baden-Württemberg«. So isch no au wieder.
Parole »Schwätz nix«
    Wie dem auch sei, Sparsamkeit fängt im Kopf an. Deshalb sind manche Schwaben bis heute auch sparsam beim Reden, getreu dem Motto »A stiller Mensch isch ruhig«. Für diese Maulfaulheit steht der verbale Dreisprung des Ehemannes beim Beglücken seiner Gattin: »Wasele?« Pause. »Sodele.« Kurze Pause, dann erleichtertes Aufseufzen: »Jetzetle!« Oder die Szene auf dem Land, wo ein Bauernbub nach Hause rennt und daheim ganz aufgeregt mitteilt, daß Nachbars Kühe ausgebrochen seien und die eigene Wiese abweideten. Ein-, nein, zweisilbiger Kommentar des Bauern: »Melka!«. Sprich: Melken! Nein, das ist nicht »verdruckt«, das ist nur vernünftig. »Schwätz nix, dann komm’sch in nix nei«, hieß es oft, ehe das Handy eingeführt wurde. Und so mancher, der zu Hause am Eßtisch oder bei seinem Chef eine Lippe riskierte und danach abgekanzelt wurde, mußte sich eingestehen: »Um den Preis hätt’sch dein Maul auch halte könna.«
    Bruddelig, also brummig-abweisend, war und ist der Schwabe nicht etwa, weil er bösartig wäre. Sondern einerseits, weil er seine Gesundheit pflegt, wie der Autor Sebastian Blau feststellte: »Wer bei uns einen Kropf hat, hat ihn kaum wegen verschluckter Grobheiten.« Und andererseits, weil er die Welt nach Art seiner Vorfahren grundsätzlich skeptisch betrachtet – und damit leider meist recht behält. Der Rest ist Temperamentssache. Das seßhafte Exemplar zieht sich hinter seinen Ofen, hinter sein Viertele zurück und räsoniert über die Schlechtigkeit der Zeit. Der Umtriebige aber geht in die verquere Welt hinaus und versucht sie sich besser zurechtzuzimmern: indem er Motoren entwickelt und Zündkerzen und Werkzeugmaschinen und Computer. Und Harmonikas und Leitz-Ordner. Oder indem er, wie der gebürtige Ulmer Albert Einstein, die Relativitätstheorie erfindet. Im übrigen hat sich die ursprüngliche Grobheit stark relativiert. Wurde ein Schwabe früher angerempelt, schlug er dem Übeltäter aufs Maul – »oine an d’Gosch na«. Später beließ er es bei einem gemäßigten Hinweis: »Hoppla, du Dackel, glotz au, wo du na’dappsch.« Heute kommt er mit einem einzigen Wort aus: »Entschuldigung«. Manche halten das für ein Zeichen von Degeneration.
    Aber der Schwabe kann nicht nur rauhbauzig sein, sondern auch scheißfreundlich. So wie jener Landpfarrer, der einst seinem Herzog folgende Schadensmeldung übermittelte: »Dero allerhöchste Säue haben geruht, meine allerunterthänigsten Kartoffeln aufzufressen.« Und knitz. Knitz? So ist ein Mensch, dessen Qualitäten zwischen einfallsreich, clever und listig liegen. Jedenfalls hat er das, was man ein »Gelenk im Hirn« nennt. Meist ist er neugierig und wißbegierig, tut aber, als könne er nicht bis drei zählen. Und dann überrascht das Schlitzohr die anderen mit seinen Einfällen. Er weiß, wie man seinen »Vortl« nützt; also den vorteilhaften Schwung aus dem Handgelenk heraus, mit dem man leichter einen Ast am Kirschbaum kappt. Oder wie man die psychologische Finte plaziert, um ein Geschäft zu befördern. Auch wenn andere zunächst lachen, macht er mit Pfennigartikeln wie Schrauben oder Dübeln oder schlichtem Dreck Millionen – wie die Vorzeige-Fabrikanten Reinhold Würth, Artur Fischer oder Helmut Aurenz. Man muß das Pulver nicht erfinden, sondern nur machen. Dann wird man von allen geliebt, sogar von den einheimischen Medien.
    Das also ist die schwäbische Dialektik: dieses »Sowohl« einerseits und das »Als auch« andererseits, diese Mischung aus verhockt und umtriebig, dieser wohlhabende Biedersinn, diese maulende Sentimentalität, dieses Wechselbad von Heimweh und Fernweh. Nur einem Schwaben kommt in Australien der Gedanke: »Do sitzt mr en Sydney rum, ond daheim sott mr d’Bäum schpritza!« Max Eyth, dieser weltenbummelnde Dichteringenieur aus Kirchheim/Teck, war aus solchem Holz.

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