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Gebrauchsanweisung für Schwaben

Gebrauchsanweisung für Schwaben

Titel: Gebrauchsanweisung für Schwaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Hunger
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einen Kameraden« erklang.
Vom schwäbischen Wesen
    Womit wir bei jenem Phänomen angekommen wären, das sich »schwäbische Wesensart« nennt. Am einfachsten wäre es, man könnte sie an Persönlichkeiten festmachen, so wie das Bayrisch-Bierdimpflige an Franz Josef Strauß oder das Hanseatisch-Schnoddrige am einstigen Kanzler Helmut Schmidt. Doch solche Identifikationsfiguren sind rar in diesem Land der Einzelgänger, wo zu Urgroßmutters Zeiten zwischen zwei Nachbardörfern ein Bach, drei Weidezäune und sieben Berge lagen. Wenn es sie gab, sind sie meist zu Unrecht vergessen, wie jener sagenhafte Landtagsabgeordnete Tiberius »Bere« Fundel aus Indelhausen auf der Alb. Der sagte nach dem Zweiten Weltkrieg zu Gebhard Müller, dem eben gewählten, stolzen Staatspräsidenten von Südwürttemberg-Hohenzollern: »Des eine musch’ du dir merken, Gebhard: Je öfters du in der Zeitung komm’sch, um so öfters putzet die Leut den Hintere mit dir.«
    Inzwischen gab und gibt es theoretisch andere Galionsfiguren aus dem Land der Schwaben: den gerade pensionierten, brummigen Tatortkommissar Bienzle alias Dietz-Werner Steck, den spitzzüngigen Entertainer Harald Schmidt alias Dirty Harry aus Nürtingen, den barocken Fernsehkoch Vincent Klink, den sein Weg von Schwäbisch Gmünd nach Schwäbisch Stuttgart geführt hat. Oder den blonden Fußballhelden Jürgen Klinsmann, der seine erste Gesellenprüfung, lang vor der Weltmeisterschaft 2006, daheim in der familiären Backstube in Stuttgart-Botnang gemacht hat. Oder Horst Köhler oder Joschka Fischer, denen Württemberg zur Heimat wurde. Ja, alles ganz wunderbare Leute. Aber sie leiden unter demselben Makel wie eine Artistin aus Stuttgart-Heslach, über die ein Biograph schrieb: »Eine Schwäbin war sie nicht, sie war eine Künstlerin.« Das hat etwas mit professionellem Rollenspiel zu tun, und genau das liegt dem Normalschwaben nicht.
    Dennoch unterliegt der Deutsche dem Wahn, seine Schwaben zu kennen – natürlich aus dem Fernsehen. Da stolpern sie herum, diese köstlich maulenden Hausmeister, die keifenden Klatschweiber, die spruchbeutelnden Pfarrer, die groben Büttel. Und die versponnenen Tüftler, denen man es zutraut, aus ein paar alten Konservendosen einen Zeppelin zu basteln. Oder aus Witzen, die so gehen: Fährt ein Schwabe in eine Autowaschanlage und kommt Sekunden später herausgerannt – patschnaß. Fragt ihn der Betreiber, was passiert sei. Antwortet der Mann: »Da stand auf dem Schild: Gang raus!« Zum besseren Verständnis: »Gang« ist im Schwäbischen auch der mundartliche Imperativ von gehen …
    So also sind sie angeblich, die Schwaben: bruddelig, b’häb, knitz, rauhbauzig, tüftelig, herzensgut. In einem gerade vierzeiligen Vers hat es August Reiff so zusammengefaßt: »Ufrichtig und gradraus, / guetmütig bis dort naus, / wenn’s sein muß, au saugrob, / des isch der Schwob.« Diese Charakteristik scheint ihre Wirkung getan zu haben, denn im Bayerischen gab es lange den Spruch: »Willst du keinen Streit und Ärger, meide jeden Württemberger.« Und Theodor Heuss legte auf seine diplomatische Art nach: »Die Schwaben sind vielleicht der komplizierteste, gewiß aber der spannungsreichste unter den deutschen Stämmen.«
Weicher Kern in rauher Schale
    Saugrob? Spannungsreich? Na Glückwunsch. Und der arglose Leser von auswärts mag es kaum glauben: so sieht sich mancher Schwabe bis heute selbst gern. In Zeiten von Rap und Hip-Hop pflegt er seine landsmannschaftliche Identität, indem er, wie die Kulturwissenschaftler sagen würden, seine Existenz in eine idealtypische Basiserzählung eingliedert. Sprich: Wir sind halt, seit Adam und Eva, aufrechte Kerle und Weiber, ein bissle tappich, aber nicht blöd; selten parkettsicher, aber immer ehrlich. Wir schimpfen wie die Rohrspatzen, schaffen wie die Brunnenputzer und haben alle irgendeinen Fürsten, einen Professor oder einen Prälaten in der Ahnenreihe. Kurz, ein weicher Kern in rauher Schale, wenig Form, viel Inhalt, dazu immer ein Funken Genie, und natürlich die schönsten Mädle, gell. Diese manchmal inflationär eingesetzte Floskel »gell« steht übrigens für »gilt«: So ist es.
    Um der Wahrheit und der Gegenwart näher zu kommen, müßte man allerdings differenzieren. Der heutige Urbanschwabe unterscheidet sich nämlich von seinem ländlichen Vetter wie die Stadtmaus von der Landmaus. Wobei Stadt in diesem Fall Stuttgart heißt, aber schon nicht mehr Stuttgart-Obertürkheim. Oder Ulm, aber schon nicht

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