Gebrauchsanweisung für Schwaben
energisch auf das öffentliche Leben, ob am Arbeitsplatz, am Steuer des Mercedes Coupé, im Ministerium. Das hat nur zwei kleine Nachteile: Der Schwabennachwuchs versiegt allmählich. Und wenn die Mannen etwas Habhaftes in den Magen bekommen wollen, müssen sie oft ihre Spätzla selber schaben, ihren Braten selbst brutzeln. Es hat eben alles seinen Preis. Und es ist natürlich nur ein schlechter Witz, wenn ein Autofahrer seinen Nebenmann nach einer Verkehrswarnung (»Vorsicht, auf der A 8 bei Esslingen, ein Besen auf der rechten Spur«) fragt: »Seit wann hat dei Frau da Führerschei?«
Nein, so geht kein Kerl mit seiner häuslichen Chefetage um. Außerdem bestätigt jede Statistik: Sui, also sie, fährt sowieso sicherer.
Autoritäten, hoch droben
Was unterscheidet einen jungen Schwaben sichtbar von einem alten? Der Jungschwabe busselt, der allgemeinen Mode folgend, seine Bekannten, Freunde, Spezl und Spezelinnen genauso unbekümmert ab wie den Rest der Welt. Der Altvordere wird sich hüten. Er küßt ordnungsgemäß seine Ehefrau oder glüstelig sein Schätzle, aber sonst hält er sich »zrigg«. Diese Zurückhaltung ist typisch für seinen Umgang mit allem, was ihm nicht vertraut ist: mit Fremden, Auswärtigen, aber auch mit sogenannten »Höhergestellten«, also Chefs und sonstigen Autoritäten, seien sie echt oder nicht.
Im Grunde genommen glaubt der Schwabe, egal welcher Konfession, nur an den lieben Gott, genauer: an den schwäbischen Herrgott, ob im Himmel droben, in der Natur oder auf hohen Bergen. Ja, da spürt er noch das Erbe seiner Urmütter und -väter, die sicher waren, daß die verehrungswürdigen Wesen auf den Hügeln sitzen. Deshalb erfreuen sich hierzulande Berge noch einer ungebrochenen Bewunderung, und seien es Maulwurfshügel im Vergleich zum Matterhorn. Man denke nur an den Hohenstaufen bei Göppingen, der Urheimat des großen Kaisergeschlechts, dem Barbarossa entsprang und Friedrich II. Man denke an den Hohenzollern, eine ebenfalls kaiserliche Erhebung. An den Hohenneuffen am Albtrauf, wo einst die Steinzeitmenschen den Göttern opferten. An den Württemberg, die Wohnstatt des alten Grafengeschlechts, an den Ipf bei Bopfingen, auf dem die Kelten ihre Fürsten bestatteten.
Eine der höchsten Erhebungen des Landes wurde allerdings weniger als Götterthron, sondern als Staatsgefängnis bekannt: der 356 Meter hohe Hohenasperg, von dem die Leute einst sagten, man sei schnell droben, aber es dauere Jahre, bis man wieder herunterkomme. Hier schmachteten viele hinter Gittern, ob von 1777 bis 1787 der Dichter und Journalist Christian F. D. Schubart oder in den siebziger Jahren der RAF-Terrorist Günter Sonnenberg, ob 1824 der Reformer Friedrich List oder Helmut Palmer, streitbarer Rebell, Bürgerrechtler und Obsthändler aus dem Remstal. Hier versteckte der Staat Übeltäter, aber auch seine Kritiker. Väter drohten ihren Kindern: »Da kommsch nuff, wenn du net lieb bischt.«
Zu ihren Autoritäten, ob von Gottes oder von Bürgers Gnaden, haben die Schwaben am liebsten Abstand gehalten: »Gehe nicht zu deinem Fürscht, wenn du nicht gerufen würscht«, lautete die allgemeine Maxime. Der Kulturphilosoph Gustav Rümelin stellte schon vor 150 Jahren fest: »Fremder Autorität und Gewalt wird sich der Schwabe nur unter dem Drang der Nötigung und mit ausdauerndem Widerstreben fügen.« Selbst König Wilhelm I., württembergischer König von 1816 bis 1864, klagte einmal, daß die Schwaben gleich nach ihrer Geburt zwei Wörter lernten: »Noi« und »nedda« – nein und nicht. Daß es, bei aller Loyalität, irgendwo eine Grenze gibt, jenseits derer der gänzlich unheroische württembergische Mensch zu bocken beginnt, haben schon viele erfahren müssen.
Außerdem ist es durchaus landesüblich, der Obrigkeit gegenüber den Mund aufzumachen, wenn es sein muß. Einer, der dafür bekannt war, war der Münchinger Pfarrer Johann Friedrich Flattich. An einem Sonntag begegnete ihm sein bekannt lebenslustiger, ja sexwütiger Herzog Karl Eugen und fragte: »Was hat er denn heute, an meinem Geburtstag, gepredigt?« Da zögerte Flattich nicht lange: »Was werd ich gepredigt haben? Fürsten sollen fürstliche Gedanken haben.« Heute hört der republikanisch gesinnte Schwabe mit Unbehagen, wie die Nachfahren des württembergischen Königshauses devot mit »Königliche Hoheit« angesprochen werden. Ein ordentlicher Demokrat beläßt es bei »Herr von Württemberg« – und die adeligen Herrschaften, die sich von
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