Gebrauchsanweisung für Schwaben
Wäldern, Weinbergen und anderen Ländereien nähren, können gut damit leben.
Auch ihre demokratischen Nachfolger, die Ministerpräsidenten, dürfen nicht damit rechnen, daß ihnen das Schwabenvolk die Füße küßt. Sie residieren zwar, typisch für Autoritätspersonen, in der Villa Reitzenstein auf einer Anhöhe über Stuttgart, und wohnen in einer Dienstvilla nahe dem Schloß Solitude. Doch damit hat es sich. Der frühere Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger, als »König Silberzunge« von 1966 bis 1969 Kanzler der ersten großen Koalition, glaubte einmal, besondere Anzeichen von untertäniger Verehrung zu spüren. In einem Festzug per Kutsche unterwegs und von Verehrern mit Blümchen beworfen, sah er am Straßenrand eine ältere Frau mit einem schönen Strauß. Damit die Pracht nicht auf der Straße lande, beugte er sich aus dem Wagen und streckte die Hand aus, um das Gebinde persönlich entgegenzunehmen. »O noi, noi Herr Ministerpräsident«, rief da die Schwäbin, »der isch net für Sie, der isch für mein Ma’ drübe aufm Friedhof.« So erzählte es Kiesinger selbst der früheren CDU-Ministerin Annemarie Griesinger aus Markgröningen. Und die lacht noch heute »Bröckele« über die Geschichte.
Bis die Schwaben einen Amtsinhaber ins Herz schließen, dauert es lange. Reinhold Maier, der erste baden-württembergische Ministerpräsident, hat das geschafft, weil er, mit und ohne Viertele in der Hand, ein umwerfendes Schwäbisch gesprochen hat. Erwin Teufel, Jahrzehnte später einer seiner Nachfolger, hat das geschafft, weil er so eckig und kantig war wie seine Wähler. Und Manfred Rommel, von 1974 bis 1996 Stuttgarter Oberbürgermeister, hat es erreicht, weil er nach eigenem Eingeständnis gleich zwei Sprachfehler, nämlich ein Lispeln und leichtes Stottern, bewußt als Markenzeichen einsetzte. Einmal allerdings hat er sich die Zuneigung einiger Bürger verscherzt. Kurz nachdem ein verwirrter Schwarzafrikaner zwei Polizeibeamte erstochen hatte, sagte er beim Trauergottesdienst: »Es hätte auch ein Schwabe sein können.«
Hoppla, da war Feuer unter dem Dach – aber nicht lange. Nach der nächsten Rede zur Volksfesteröffnung, nach der nächsten Bierdusche beim programmgemäß mißlungenen Faßanstich, war der emotionale Brand gelöscht.
Wie dem auch sei: Nur vier ihrer Herrscher würdigen die Stuttgarter mit einem Standbild. Herzog Eberhard im Barte, der 1477 die Universität Tübingen als »rechtes Seminarium und Bomsatz«, also als geistige Baumschule, gründete, reitet hoch zu Roß mit blankem Schwert durch den Hof des Alten Schlosses. Der vielgeliebte Herzog Christoph von Württemberg (1515 bis 1568), der eine moderne Landesordnung einführte, die Reformation festigte und das Schulwesen ausbaute, steht am Rande des Schloßplatzes. König Wilhelm I., der Reformer und Gründer des Cannstatter Volksfestes (1817), darf die Jubiläumssäule samt Concordia auf dem Schloßplatz und gleich zwei Reiterstandbilder sein eigen nennen. Und den bürgerlich-zivilen König Wilhelm II., den ein paar Revoluzzer nach dem Ende des Ersten Weltkriegs vertrieben, haben sie, ein bißchen bieder, mit seinen Spitzerhunden vor die Stadtbücherei gestellt. Dafür – für die mangelnde Unterstützung durch die Bürger, nicht für das Denkmal – rächte sich Wilhelm, der »gute König«, auf eigenwillige Art an seinen Stuttgartern. Er bestimmte, daß sein Leichnam von seiner Sommerresidenz Bebenhausen bei Tübingen aus in einem großen Bogen um Stuttgart herum auf den Ludwigsburger Friedhof zu fahren sei. So geschah es im Oktober 1921 auch. Die Stuttgarter mußten in das damals noch nicht eingemeindete Feuerbach reisen, um ihrem verehrten Herrscher die letzte Ehre zu erweisen.
Ein Stückchen monarchistischen Erbes ist dennoch geblieben: in Form der Stuttgarter Königstraße, der Hauptflaniermeile der Stadt neben der Calwer und der Eberhardstraße. In Form des säulengeschmückten Königsbaus, der heute die Fassade für ein großes Einkaufszentrum abgeben darf. Auch sonst sind im Land noch viele Straßen nach Prinzessinnen, Herzögen und Königen benannt. Nur der kriegerische Reiter auf dem Stuttgarter Karlsplatz ist kein Schwabe, sondern Kaiser Wilhelm I. aus Berlin. Preußen sind hier geduldet – auch wenn jung-dynamische Politiker immer wieder vergeblich versuchen, die versteinerte Majestät zu vertreiben. Die getreuen Schwaben aber haben sich an ihren Wilhelm gewöhnt. Abgesehen davon, daß ihn die meisten, weil der
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