Gebrauchsanweisung für Südengland
Day im Jahr 1995 wollte die BBC feststellen, welche die 100 beliebtesten Gedichte der Nation seien. Zwölftausend Briten schickten ihr Lieblingsgedicht ein. Auf Platz 46 landete ein Gedicht von Rudyard Kipling (dessen Gedicht »If« übrigens alle anderen Werke mit Abstand auf ihre Plätze verwies), in dem er sich dem englischen Garten und seinen Gestaltern widmet.
»The Glory of The Garden« beginnt mit den Zeilen:
Our England is a garden that is full of stately views, Of borders, beds and shrubberies and lawns and avenues, With statues on The terraces and peacocks strotting by …
Trefflicher kann man es zusammenfassen: In keinem anderen Land der Welt haben Gärten vom kleinsten Cottage Garden bis hin zu den größten Landschaftsgärten eine derartige nationale Bedeutung. Ganz England ist eine Nation von Gärtnern; kaum jemand, der nicht mindestens mit einem grünen Daumen geboren wurde. In der Regel sind jedoch alle Finger grün. Das Wissen, wo etwas am besten gedeiht, scheint angeboren zu sein, gepaart mit der Bereitschaft, allen Pflanzen eine Chance zu geben. Vielleicht liegt der Erfolg auch darin, daß die meisten Engländer sich ihre Pflanzen als Ableger bei Nachbarn, auf Märkten und bei den Pflanzenverkäufen der großen Gartenanlagen besorgen. So kann man aus erster Hand erfahren, wie und wo die Pflanze am besten gedeiht.
Das Klima Südenglands begünstigt die Gärtnerbegabung. Es ist nie zu heiß, nie zu kalt, und immer feucht. Da blühen auch im tiefsten Winter noch Fuchsienhecken und Geranien, selbst tropische Pflanzen gedeihen prächtig, vor allem an der Südküste Devons und Cornwall.
Die ersten Gärten Südenglands waren bereits zu Zeiten der Römer angelegt. Die Römer brachten mindestens 38 neue Sorten an Gemüse, Kräutern, Früchten, Bäumen, Sträuchern und Blumen auf die Insel. Viele der Gärten, die die Römer zurückgelassen hatten, waren Imitationen der römischen Villengärten: Theatralisch, formal, luxuriös und geschmackvoll. Es sollte
1000 Jahre dauern, bis ein ähnlicher Standard an Gartenkunst wieder erreicht wurde. Permanenter Unfrieden und Invasionen beschränkten gärtnerische Tätigkeiten auf die Anpflanzung von Obst und Gemüse für die tägliche Ernährung.
Mit der Thronbesteigung der Tudors brachen friedlichere Zeiten in England an. Die Aristokratie begann, Schlösser statt Burgen zu bauen. Die luxuriöse Lebensart und der sich erweiternde Horizont spiegelten sich in ihren Gärten. Die Renaissance nahm ihren Einfluß auf Architektur und Gartengestaltung. Unter Heinrich VIII. und vor allem unter Elizabeth I. dienten Gärten der Erbauung und befriedigten die Ansprüche an die Ästhetik. Moden, von den oberen Gesellschaftsschichten vorgegeben, wurden landesweit, so gut es ging, imitiert. Als Charles II. nach der Restauration 1660 französischen Modellen nachempfundene Wasserkanäle, Statuen und Brunnen einführte, machten es ihm die Besitzer der stately homes, der prunkvollen Häuser, im ganzen Land nach. Mit dem 18. Jahrhundert kamen die ersten Landschaftsgestalter, die nationale Berühmtheit erlangten und deren Name und Einfluß noch heute von Bedeutung sind. Die Natur wurde in den Garten zurückgeholt, bis das Vieh praktisch direkt am Haus graste, nur abgetrennt durch eine Art Graben, der den Übergang von Rasen auf Weide vom Haus aus praktisch unsichtbar machte. Malerei und Literatur bestimmten das Aussehen von Gartenanlagen. Lancelot (Capability) Brown begann seine landschaftsgestalterische Karriere 1751. Vorbei war es mit den klassischen Elementen und klaren Linien. Bäche wurden zu Seen, der Garten zu einer Landschaft mit Hügeln (die gelegentlich, wenn sie an ihrem Platz nicht genehm waren, verschoben wurden), die Bäume standen nicht mehr länger Spalier in der Auffahrt, sondern in scheinbar ganz natürlichen Gruppierungen auf dem Rasen.
Mit der Romantik kamen Grotten und Ruinen, derelikte Bögen und zerfallene Abteien in die Gartenanlagen. Auch die von Capability Brown fast verbannten Blumenrabatten kehrten zurück.
Nach dem Tod von Capability Brown erkannte Humphrey Repton eine Marktlücke und seine große Chance: Das vom Vater geerbte Tuchhandelsunternehmen gab er auf, um sich auf dem Land den angenehmen Dingen des Lebens zu widmen. Er war das, was Jane Austen (die auch über ihn geschrieben hat) einen vielseitigen Mann nannte. Er war belesen, korrespondierte mit Wissenschaftlern und Botanikern, managte sein
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