Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung für Südengland

Gebrauchsanweisung für Südengland

Titel: Gebrauchsanweisung für Südengland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Kößling
Vom Netzwerk:
wichtiger als irgendwelche Liebschaften.
    Sissinghurst war ihre gemeinsame, große Lebensaufgabe. Der Künstlerin Vita war klar: »Allein hätte ich es nie geschafft. Zum Glück hatte ich den idealen Mitstreiter geheiratet. Harold Nicholson muß in einem früheren Leben Gartenarchitekt gewesen sein.« Das Credo für ihren Garten verband höchste Strenge der Gestaltung mit maximaler Zwanglosigkeit der Bepflanzung.
    Das Ergebnis ist eine harmonische Sequenz kleiner, jeweils Themenbezogen gestalteter »Räume« wie Bauerngarten, Rosengarten, Kräutergarten, Nußgarten und Obstgarten. Der mit Abstand berühmteste Gartenraum ist der »Weiße Garten«. Einer feinen alten Dame entlockte er beim Betreten einen einzigen Ausruf: »Umwerfend!!!« In der Tat ist diese Symphonie aus subtilen Weiß- und Grünnuancen bereits beim ersten Anblick atemberaubend und überwältigend. Blütenund Blattformen setzen in diesem Garten die Akzente, untermalt vom Duftrausch der Rosen. Einzig die buntgekleideten Besucher stören die Optik
    – vielleicht sollte der National Trust ein Verbot von roten T- Shirts und knallgelben Jacken aussprechen …
    Sissinghurst ist nur einer von zahlreichen Gärten, die in Südengland unter der Obhut des National Trust stehen. Stourhead in Wiltshire, angelegt zwischen 1741 und 1780, ist ein weiteres berühmtes Beispiel für den englischen Gartenbau. Die Gartenräume von Barrington Court in Somerset verdanken ihr Design der Planung von Gertrude Jekyll. Auch hier gibt es übrigens einen »Weißen Garten«.
    Zu all den Gärten und Landschaftsparks in der Hand von Stiftungen und anderen mehr oder weniger öffentlichen Institutionen kommen unzählige Gärten in Privatbesitz, die Südengland in ein Paradies für Pflanzenliebhaber macht.
    Sir Walter Luttrell hat Gäste geladen. Ältere Paare mit King Charles Spaniels und Labradoren am anderen Ende der Leine lustwandeln durch den Landschaftsgarten, der sanft zum Bristol Channel hin abfällt. Zwischen alten Bäumen bestaunen sie blühende Büsche, ruhen sich am seerosenbedeckten Teich aus und lassen den Blick über die angrenzenden Weiden bis hin zu den Klippen von Südwales schweifen. In das kniehohe Gras wurden Wege gemäht, scheinbar ohne Ziel ziehen sie sich über den Hang und durch das Tal. Immer wieder führen sie zu atemberaubenden Aussichten, unter Laub versteckten Steinbänken, eröffnen neue Perspektiven. Im Frühjahr tanzen hier Heerscharen von Fritillarien, auch Schachbrettblume genannt, in ihren modisch-karierten Röcken wie Elfen, auch sie, wie Schneeglöckchen und Krokusse, augenscheinlich nur eine Laune der Natur.
    Doch jetzt ist Sommer. Weiter oben am Hang, nicht weit vom Court House, das sich als klitzekleine Festung in die Landschaft duckt, träumen Lavendel und Rosmarin in der Sonne. Der Duft von unzähligen Rosen weht herüber. Zwischen uralten Mauern im buchstäblich »heißen Garten« veranstalten Gladiolen und Beetgenossen in glühenden roten und gelben Farben ein Feuerwerk.
    Sir Walter Luttrell, ein älterer Herr von aristokratischer Statur, lehnt auf einem überdimensionalen Spazierstock mit geschnitztem Hundekopf als Griff und plaudert mit Besuchern. Dankend und leicht verlegen nimmt er Lob über die gelungenen Gartenanlagen entgegen und erinnert daran, bei den Erkundungen auch das kleine Waldstück jenseits des Hauses nicht zu vergessen, wo Hostas und Hortensien weiche Wege säumen und überall lauschige Sitzplätze warten. Nicht zu vergessen das Denkmal für das Wildschwein, auf das verblüffte Spaziergänger mitten im Wald unvermittelt stoßen.
    Auf dem Croquet Rasen sind die wenigen Stühle von teetrinkenden Damen besetzt. Zu ihren Füßen lagern Golden Retriever und Jagdhunde sowie am Weißwein nippende Männer, den Strohhut in den Nacken geschoben. Dazwischen spielen Kinder, leise und fröhlich. Junge Leute bewundern die Steinurnen im Innenhof.
    Diese Bilderbuchszene ist typisch südenglische Realität: Von weit her sind sie gekommen, um Sir Walter Luttrell ihre Reverenz zu erweisen. Besser gesagt, seinem Garten, denn der steht zweifelsohne im Mittelpunkt des Geschehens. Zweimal im Jahr öffnen die Luttrells die Pforten ihres stattlichen Anwesens in East Quantoxhead für die Öffentlichkeit. Der Erlös kommt dem British Red Cross zu, dessen Mitarbeiter am Gartentor den Eintritt kassieren und Ableger verkaufen und in der Scheune Verpflegung und den obligatorischen Tee anbieten.
    Die Luttrells sind keine löbliche Ausnahme. Wer einen

Weitere Kostenlose Bücher