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Gebrauchsanweisung für Südengland

Gebrauchsanweisung für Südengland

Titel: Gebrauchsanweisung für Südengland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Kößling
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wenn England wirklich als Sieger die Trophäe in der Hand halten sollte. Trotzdem verfolgt die Nation gespannt jeden Ball und, falls Australien der Gegner sein sollte, werden die Befindlichkeit von Shane Warnes Schulter und der Zustand der Lendenmuskulatur von Glenn McGrath, den furchterregenden Werfern der Australier, zum Thema der Abendnachrichten.
    Obwohl England erfolgreich Sportarten wie Fußball und Tennis in alle Welt exportiert hat, hat Cricket die Grenzen des alten Empire nie überwunden. Schade eigentlich, ist es doch der zivilisierteste Sport, den man sich denken kann, der nicht nur die gute Kondition eines Läufers und die Technik eines Werfers, sondern auch noch Intelligenz erfordert. Nicht umsonst wurde Cricket »Schach auf Rasen« genannt.
    Zugegeben, die Regeln sind nicht ganz eingängig. Fachausdrücke wie maiden over und Statements wie he got out for a duck sind erklärungsbedürftig, schließlich sind weder Jungfrauen noch Enten auf dem Spielfeld zu sehen. Höchstens Möwen, die in der Sonne vor sich hin träumen, während nur wenige Meter neben ihnen der Entscheidungskampf um den Sieg in seiner heißesten Phase tobt. Das Schöne ist: Der Uneingeweihte merkt es nicht einmal, sehen die Auseinandersetzungen im typisch britischen Understatement doch aus wie ein nettes Stelldichein von in elegantem Weiß gekleideten Männern. Es heißt, Groucho Marx von den Marx Brothers wurde einst von einem englischen Gastgeber zu seinem allerersten Cricket-Match mitgenommen. Eine halbe Stunde lang starrte Groucho Marx wie gebannt auf das Spielfeld. Schließlich drehte sich der Gastgeber um und fragte ihn, wie es ihm denn gefiele.
    »Gut«, antwortete dieser. »Aber wann beginnt denn das Spiel?«
    Sie sehen, was ich meine.
    Cricket ist der Inbegriff der englischen Mentalität und vor allem eine Frage der Geduld. Ein Match kann fünf Tage dauern, aber selbst dann ist nicht gewährleistet, daß der Gewinner feststeht. Die internationalen test series werden, wie eingangs bereits erwähnt, über Monate hinweg ausgetragen – vier bis fünf test matches à vier bis fünf Tage ergeben die test series. Test steht übrigens dabei für den »Nachweis der Fähigkeit« der Nationalmannschaft und nicht für einen Probedurchlauf.
    Die wichtigste internationale Auseinandersetzung ist zweifelsohne die test series zwischen England und Australien, kurz und bündig The Ashes genannt, die etwa alle 18 Monate ausgetragen wird. Dabei wird wirklich um ein Häufchen Asche gekämpft, das für Cricket-Fans die heiligste aller Reliquien darstellt. Die Geschichte ist, auch wenn Australier beteiligt sind, mal wieder so richtig englisch und von erstaunlicher nationaler Emotionalität: 1882 wurde England im Londoner Cricket-Stadion »The Oval« von den australischen Touristen geschlagen. In einer feierlichen Zeremonie kamen alle Spieler zusammen und verbrannten das bail, ein kleines Holzstückchen, das, so klein wie es ist, eine extrem wichtige Rolle bei Cricket spielt. Schließlich ist es das Streben eines jeden Werfers, dieses bail von den stumps, den drei Holzpfählen, zu werfen, um den Schläger der anderen Mannschaft vom Feld zu schicken. Bail und stumps zusammen bilden übrigens das wicket – soviel nur am Rande zum besseren Verständnis, weitere Regeln bleiben Ihnen erspart!
    Die Asche des besagten bail wurde in eine Trophäe gefüllt, die seitdem unter strenger Sicherheitsbewachung im Trophäenraum des englischen Cricket-Olymp, dem Stadium »Lord’s« im Londoner Stadtteil Marylebone, aufbewahrt wird. Zum Leidwesen der Australier bleibt die Trophäe auch dort, wenn sie gewonnen haben. Was in letzter Zeit ziemlich häufig der Fall war. Der 1882 in der »Sporting Times« erschienene Nachruf auf englisches Cricket, »The body will be cremated and the ashes taken to Australia«, ist also nur metaphorisch zu verstehen.
    1986/87 haben die Engländer die Ashes das letzte Mal gewonnen, wie die Statistik des vom »Sunday Telegraph« anläßlich der Ashes 200I herausgegebenen »Complete guide to Cricket’s greatest contest« eindrücklich und detailliert belegt.
    Überhaupt ist Cricket das Spiel für Statistiker und Mathematiker. Schon während der Fernsehübertragung wird kräftig gerechnet und verglichen. Die Nachberichterstattung und Analyse wird in sämtlichen Medien durch endlose Tabellen ergänzt.
    Böse Zungen behaupten, mit irgend etwas müßten sich die Kommentatoren und Zuschauer ja beschäftigen …
    Cricket ist die einzige britische

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