Gebrauchsanweisung für Südengland
gaben dem Spiritismus in den 1920er Jahren noch einmal Anschub. Sir Arthur Canon Doyle, sonst bekannter für seine Geschichten über Sherlock Holmes und Dr. Watson, verfaßte 1926 »The History of Spiritualism«, nur ein Buch von mehreren, in dem er sich mit diesem Thema beschäftigte. Die 1880 in Großbritannien gegründete Society for Psychic Research existiert übrigens immer noch.
Der Gottesdienst in Alcombe nähert sich seinem Ende. Es wird noch einmal kräftig gesungen. Dann kann sich, wer möchte, in einem kleinen Nebenzimmer Heilung geben lassen. John steht dafür zur Verfügung sowie auch Mary, die Organistin. Beide sind geübt und erfolgreich im Heilen durch Händeauflegen. Dieser Service ist natürlich kostenlos.
Jeden Sonntag kommt ein anderes Medium in die Kirche, oft aus ganz anderen Teilen des Landes. So besteht keine Gefahr, daß sich das Medium im Vorfeld mit Informationen über Gemeindemitglieder und ihre verstorbenen Verwandten versorgen kann.
Im Laufe der Woche findet im benachbarten Minehead noch ein Meditationskreis statt. Wer Heilung benötigt, kann diese auch unabhängig von dem Gottesdienst erbitten. Auch Fernheilung ist möglich – man muß nur den Namen desjenigen, der Hilfe braucht, in ein Büchlein eintragen lassen. Andere spiritual churches, die größer sind als die in Alcombe, bieten auch Workshops, in denen man lernt, seine eigenen Fähigkeiten als Heiler oder Medium zu erkennen und fortzubilden.
Für deutsches Empfinden beschäftigen sich erstaunlich viele Engländer mit Fernheilung und der Kommunikation mit Verstorbenen. Es gehört zu ihrem Leben wie der Schwatz mit den Nachbarn.
England wäre nicht England, wenn es nicht noch ein wenig exzentrischer ginge. Da gibt es zum Beispiel in Südengland (und nicht nur dort) jede Menge Menschen, die sich new age traveller nennen und wie Nomaden mit ihren Kindern in alten Autos und Campingwagen durchs Land ziehen. Die Macmillan Encyclopedia assoziiert mit ihnen den Glauben an östliche Religionen (vor allem den Buddhismus), Meditation, Okkultes, Astrologie, Homöopathie, Bio-Gemüse und überhaupt alle
»grünen« Belange. Die Kultur der travellers läßt sich an die Westküste der USA und zur Hippie-Bewegung der 6oer Jahre zurückverfolgen.
In England werden die modernen Zigeuner oft nicht gerne gesehen. Ihre Wagen haben nichts vom malerischromantischen Mythos der Romanos und schon gar nichts von der blumigen Flower-Power Zeit. Sie sind nicht nur alt, sondern auch dreckig; die häufig illegalen Rastplätze auf Feldern (selbst auf Autobahnraststätten wurden sie gesichtet), sind das, was man auf englisch an eyesore (Schandfleck) nennt.
Viele der travellers befinden sich auf der Flucht vor
Arbeitslosigkeit oder auch Obdachlosigkeit in den Großstädten, aber die Zahl derer, die aus relativ gutverdienenden Mittelklasse-Familien stammen oder eine Universitätsausbildung abgebrochen haben, ist verhältnismäßig hoch. Wenn man sie fragt, was sie am Leben am meisten stört, antworten die meisten: der Materialismus, der heute den Alltag und das Denken und Fühlen der Menschen bestimmt. Die bürgerliche Gesellschaft ist ihrerseits nicht gut auf sie zu sprechen. Mal ganz abgesehen von dem vom pittoresken ziemlich weit entfernten Auftreten der Karawanen, wirft man ihnen häufig vor, Schmarotzer des Wohlfahrtsstaats zu sein, ihren Kindern keine richtige Ausbildung zu bieten und sich ihr Geld statt mit Arbeit durch Drogenhandel zu verdienen.
Seit den 1970er Jahren gilt Stonehenge, der monumentale Steinkreis in der Ebene von Salisbury in Wiltshire, als das Mekka der new age travellers und Neo-Druiden. Sie ignorieren, daß Stonehenge nie eine Kultstätte der echten Druiden (die Medizinmänner und Priester der Kelten) darstellte, die im 6. Jahrhundert n. Chr. den Süden Englands für die Angelsachsen räumen mußten.
Jedes Jahr in der Nacht zur Sonnenwende am 21. Juni treffen sich Tausende von Hippies und Neo-Druiden an dem Steinkreis. Im Jahr 2001 kamen insgesamt 14.500 Menschen. Es war das zweite Jahr, in dem Stonehenge von English Heritage, der Organisation zum Erhalt englischen Kulturguts, in dessen Obhut sich das Monument befindet, in dieser Nacht für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, nachdem es 1984 nach Tumulten zum Schutz der Steine geschlossen worden war.
In einem Zeitungsbericht des »Guardian« wird ein Mann namens Mark Graham zitiert, der sich als Druiden-Priester aus Loughbourough
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