Gebrauchsanweisung für Südengland
vorstellt und in einem Gewand aus Hirschfell bei den Feierlichkeiten erschien: »Es ist die Zeit des Jahres, wenn die Sonne am höchsten steht und die größte Kraft hat. Es ist die Zeit, wenn der gehörnte Gott die Erde durchstreift und sie fruchtbar macht. Er tanzt mit der Mutter Erde.« Nicht nur der »gehörnte Gott« durchtanzte die Nacht, sondern auch die Feiernden zu Samba-Klängen, Bongo-Trommeln und Sphärenklängen. Traditionelle Morris Dancers wurden ebenso gesichtet wie Mitglieder der Druiden-Orden, die, wie Mark Graham, der Sonnenwende mit mystischen Ritualen huldigten.
Wann genau der Ancient Order of Druids seine Feiern in Stonehenge begann, verliert sich im Dunst der Geschichte. Bekannt ist nur, daß der Orden im 19. Jahrhundert bis hinein ins 20. Jahrhundert sehr populär war. Einer der bekanntesten
Vertreter dieses Ordens dürfte wohl Winston Churchill (1874-1965) sein, der zur Albion Lodge in Oxford gehörte.
1975 wurde der Secular Order of Druids initiiert, der sich den esoterischen Ideen des New Age verschrieb und als neuheidnisch einzustufen ist. Seitdem zieht das Stonehenge Festival jährlich große Besuchermassen an. Es gilt übrigens auch als Auftakt für die Open-Air-Musikfestivals des Sommers.
In einem Punkt haben die Neo-Druiden recht: Die Bedeutung des prähistorischen Steinkreises wurde von Forschern als historischer Ort der Sonnenbeobachtung und Sonnenverehrung bestätigt. Dank eines ausgeklügelten Systems konnten Saat- und Erntezeiten errechnet werden: Zur Sommersonnenwende geht die Sonne direkt über dem heel stone auf und scheint ins Herz des Steinkreises, ein Zeichen für den Bauern, daß nun die Ernte beginnt. Die Wintersonnenwende wird durch einen Stein markiert, der dem heel stone gegenübersteht. Wenn die Sonne durch den einst vollständigen Bogen unterging, wie, so Peter Sager, durch das Tor zur Unterwelt, dann wußte der Bauer, daß die Tage von nun an wieder länger wurden.
Heute nutzen die Farmer der Salisbury Plain andere Methoden, und nur die noch praktizierenden Druiden finden sich zu den Sonnwendfeiern und an den Tagen, die den Beginn von Herbst und Frühling markieren, an dem megalithischen Steinkreis ein. Und natürlich jede Menge Touristen, die sich das ganze Jahr über redlich bemühen, Fotos von den vielbesuchten Steinen zu machen, die den Eindruck erwecken, die mystische Stätte sei menschenleer.
Das Eldorado für Hippies, Druiden und New-Age-Anhänger ist zweifelsohne Glastonbury in Somerset mit seinen Abteiruinen, dem Ort des Heiligen Grals und Grab König Artus. Dort blüht noch immer der Dorn vom Heiligen Land aus Joseph von Arimathias Wanderstab, von dem alljährlich zur Weihnachtszeit ein Zweig zur Queen nach London geschickt wird.
Der Durchschnittstourist wird bestaunen, was von der einst so stolzen und größten Abtei Englands nach den Plünderungen durch die Truppen Heinrichs VIII. vor über 400 Jahren übrigblieb, und dann versuchen, ein Restaurant mit gutbürgerlicher Küche zu finden. Da wäre unter anderem das George and Pilgrim, ein Gasthaus und Hotel, das bereits vor der Reformation als solches diente. Übernachtungsgäste seien jedoch gewarnt, daß in den Räumen dieses Hauses mindestens ein Mönch spukt, der des nächtens gutgelaunt und zu Unfug aufgelegt die Zimmer besucht.
Ansonsten, von einem einzigen stilvollen und gemütlichen Tea Room gegenüber dem Parkplatz der Abbey abgesehen, dominieren lila, blutrot, gelb und blau gestrichene Lokalitäten, die ganz im Zeichen der Esoterik stehen. In ihnen tummeln sich buntgewandete Gestalten, das lange, wallende Haar durch lilafarbene Bänder gehalten, die biologisch angebaute Gemüsesuppe schlürfen und über die Einflüsse des Mondes auf das Wachstum der Fingernägel diskutieren.
Über den Duft nach Lauch legt sich Moschus und Weihrauch, der aus den benachbarten Geschäften strömt. Hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Jedes nur denkbare Accessoire für das Druidentum und jedes Zubehör für die Ausübung von esoterischen Übungen ist in den Lädchen rund um die Abtei erhältlich.
Ein Geschäft verkauft Kristalle und Halbedelsteine, die gegen Krankheiten und den bösen Blick helfen sollen. Nebenan gibt es Räucherstäbchen in Duftnoten wie Moonstone, Nirwana und Spirit of Gaia und Behältnisse, in denen man sie abbrennen kann, dazu Hunderte von Ölen mit magischen Wirkungen zum Inhalieren und Einreiben, die ihre Wirkung am besten entfalten, wenn man bei der Anwendung
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