Gebrochen
dicht, dass sich unsere Schenkel berührten. So spürte ich auch, dass er sich anspannte.
„Soll ich …“, setzte ich an, doch er schüttelte den Kopf und lächelte mich kurz an. Ich wandte mich ab, damit ich ihn nicht wieder verliebt anstarrte. Gerade als ich nach meinem Kaffee greifen wollte, platzte meine Mutter heraus: „Seid ihr jetzt doch zusammen?“
„Ja“, sagte ich nur, doch das glückliche Grinsen konnte ich nicht ganz unterdrücken.
„Das freut mich für euch“, lächelte mein Vater und warf dabei, vor allem Leon, einen Blick zu. Dieser nickte nur. Meine Mutter hingegen fuhr auf: „Das kann ja gar nicht gut gehen.“
„Wieso?“, fragte ich perplex.
Richtig aufgebracht war sie, als sie erklärte: „Leon ist doch nicht beziehungsfähig. Das sieht man doch sofort. Bevor das nicht mit einem Psychologen…“
„Ich“, unterbrach Leon sie, das Wort betonend, „habe zwölf Jahre Hölle hinter mir. Seit ich neun war, war ich in meiner persönlichen Hölle gefangen. Ich bin einfach nur froh, dort nicht mehr zu sein. Ich habe es gerade erst geschafft, mein Leben in den Griff zu bekommen. Mit einem Fremden zu reden, kommt gar nicht in Frage. Nicht darüber. Für solche Gespräche muss man jemandem vertrauen. Ich vertraue niemandem, mit Ausnahme von Nat, versteht sich. Auch in die Polizei hab ich das Vertrauen verloren, weil sie mir damals nicht geholfen haben. Im Gegenteil, sie haben es schlimmer gemacht. Also tun sie mir bitte den Gefallen und lassen sie mich damit in Frieden. Und Nat auch, denn er hat mir mehr geholfen, als ich mir jemals hätte vorstellen können, dass mir überhaupt jemand helfen könnte.“
Ich starrte ihn perplex an. Das war die längste Rede, die ich jemals aus seinem Mund gehört hatte. Mein Vater schmunzelte in sich hinein, wie ich mit einem Seitenblick feststellte, während meine Mutter ziemlich fassungslos war. Sie wäre nicht meine Mutter gewesen, wenn sie gleich aufgegeben hätte. Oder diesmal war es vielleicht auch die Fassungslosigkeit, die aus ihr sprach: „Aber deinen Eltern….“
„Denen“, wieder betonte er das Wort, „vertraue ich am allerwenigsten. Die Gründe würde ich ihnen gern ersparen.“
Seine Stimme hatte einen bitteren Klang angenommen. Ich konnte förmlich sehen, wie die Erkenntnis in meiner Mutter aufstieg. Dann blickte sie entsetzt zu Leon und schließlich zu mir. Ich reagierte gar nicht. Was sollte ich auch noch dazu sagen?
Der Blick meiner Mutter glitt wieder zu Leon, der nun die Beine auf das Sofa zog und den Blick senkte.
„Es tut mir leid. Ich wollte sie nicht schockieren. Aber ich will gerne mit ihnen klar kommen, das geht aber nicht, wenn sie mich ständig unter Druck setzen. Mich oder Nat“, erklärte er leise. Meine Mutter nickte nur.
Den restlichen Nachmittag unterhielt ich mich hauptsächlich mit meinem Vater. Meine Mutter blickte die meiste Zeit starr vor sich hin. Leon war wie immer eher zurückhaltend.
Am späten Nachmittag verabschiedeten sie sich. Meine Mutter blickte dabei Leon an, als wollte sie etwas sagen, doch zu meiner Verblüffung hielt sie den Mund.
Nachdem die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, machten wir es uns wieder im Wohnzimmer gemütlich.
„Ich habe deine Mutter schockiert“, stellte Leon tonlos fest.
„Ja, und ihr damit zweifellos endgültig den Wind aus den Segeln genommen“, grinste ich. Leon warf mir einen prüfenden Blick zu, dann grinste auch er. Doch er wurde bald wieder ernst und murmelte: „Ich will gar nicht wissen, was sie jetzt von mir denkt.“
Ich wusste nicht so genau, ob er damit seine Vergangenheit meinte, oder die momentane Situation. Ich beschloss es auf die Gegenwart zu beziehen und meinte: „Ich glaube ihr Problem war einfach, dass sie dich nicht wirklich kennt. Wie du dich verändert hast mein ich. Sie sah immer nur deine zurückhaltende Seite. Damit hat sie angenommen, dass du keine Fortschritte gemacht hast. Sie hat in dir nur das verängstigte Opfer gesehen.“
„Und jetzt?“, fragte er zweifelnd.
„Jetzt hat sie festgestellt, dass du sehr wohl in der Lage bist, deine eigene Meinung zu vertreten. Dass du dich auf die Füße stellst, wenn notwendig. Jetzt sieht sie einen erwachsenen Menschen in dir“, erklärte ich schmunzelnd. Leon seufzte erleichtert und lehnte sich entspannt zurück.
***
In der nächsten Woche war ich erstaunt, dass Leon mich doch öfter berührte. Wenn ich nach Hause kam, stand er meist auf, schenkte mir einen atemberaubenden
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