Gebrochen
wütend. Ich stand auf und fuhr fort: „Und jetzt verschwinde.“
Perplex sah er mich an.
„Hau schon ab!“, schrie ich ihn an. Ich konnte so gar nicht fassen, wie er gerade drauf war. Er sah seinen Fehler nicht einmal ein!
Hatte die Abwesenheit seiner Freundin vielleicht sein Hirn vernebelt? Hannes stand auf, drückte mir sein – fast noch volles – Bier in die Hand und ging. Als die Wohnungstür zufiel, stellte ich die Flasche auf den Tisch und ging zu Leon. Zusammengerollt lag er im Bett, schluchzend, wie ich vermutet hatte. Es zerriss mir fast das Herz, ihn so zu sehen. Vor allem, weil es nicht notwendig gewesen wäre. Ich setzte mich zu ihm und legte die Hand auf seine Schulter.
„Vergiss was er gesagt hat“, meinte ich sanft. Sein Schluchzen verstummte und er wandte sich zu mir. Ich zog die Hand weg und blickte ihn liebevoll an.
„Du wirst nicht auf ihn hören und mich wegschieben?“, fragte er verzweifelt.
„Nein. Ich höre nicht mehr auf ihn, was dich betrifft. Ich hab das einmal gemacht und bereue es heute noch“, erklärte ich leise.
„Wie meinst du das?“, fragte er nach.
„Ich wollte dir so gerne helfen. In der Schule. Er meinte, wenn du Hilfe wolltest, würdest du es sagen“, erklärte ich traurig. Erstaunt sah er mich an. Ich lächelte leicht und fuhr fort: „Wenn ich nicht auf ihn gehört hätte. Vielleicht hätte ich dir wenigstens ein paar Jahre ersparen können.“
„Ich habe mich so sehr geschämt“, flüsterte Leon, „Ich …“
Er brach ab, Tränen traten erneut in seine Augen.
„Ich konnte nicht glauben, dass es mehr war als verachtendes Mitleid. Aber es war so gut, jemanden neben mir zu haben, der nichts wollte. Ich hatte die Hoffnung aufgegeben. Schon lange. Ich konnte nicht vertrauen … Ich hatte Angst, wenn ich es mache, dass es wieder nur Schmerz wäre. Ich …“
Schluchzend brach er ab, rollte sich wieder zusammen. Wieder einmal saß ich hilflos daneben, während er litt. In dem Moment verfluchte ich Hannes. Warum nur, hatte er seine Klappe nicht halten können? Es war Leon so gut gegangen in letzter Zeit. Und er hatte seine Gefühle zugegeben! Er war auf mich zugegangen, mit seinen Berührungen. Und jetzt das!
Irgendwann nach endloser Zeit, wie mir schien, beruhigte Leon sich wieder und schien sogar eingeschlafen zu sein. Erleichtert stand ich auf und setzte mich ins Wohnzimmer.
***
Hannes konnte nur froh sein, dass er nicht da war! Ich könnte ihn grün und blau schlagen, für das was er angerichtet hatte. Leon saß seit dem Morgen herum und grübelte vor sich hin. Er hatte kaum ein Wort gesagt und warf mir immer wieder Blicke zu. Sie waren nachdenklich, zweifelnd, liebevoll, skeptisch, unsicher, im Laufe des Tages bekam ich jedes Gefühl einmal zu sehen.
Ich ließ ihn in Ruhe, wenn er reden wollte, würde er es tun, so weit war er schon lange. Doch ich war mir ganz sicher, dass es wegen Hannes Aussage gestern war, dass er jetzt nachdachte. Was wenn der Zweifel siegte? Wenn er sich wieder von mir abwenden würde, weil er Hannes recht gab?
Ich hatte zwar gesagt, dass ich ihn gehen lassen würde, doch es würde mir trotzdem das Herz brechen. Vor allem jetzt, wo er angefangen hatte, seinen Gefühlen zu trauen. Wo er angefangen hatte, mir wirklich zu trauen.
Ich konnte mich den ganzen Tag nicht wirklich entspannen. Mit meinem Buch kam ich auch nicht so richtig weiter, weil ich mehr Leon beobachtete, als den Blick auf die Seiten gerichtet zu haben. Auch der Fernseher brachte nicht die gewünschte Ablenkung. Es war zum aus der Haut fahren!
Am späten Nachmittag, ich wollte gerade einen Kaffee machen, kam Leon zu mir. Er stellte sich vor mich und blickte mir forschend in die Augen. Dann wurde sein Blick liebevoll und so intensiv, dass ich weiche Knie bekam. Wortlos suchte er in meinen Augen. Wonach, war mir nicht ganz klar. Ohne den Blick abzuwenden, sagte er nach einer Ewigkeit: „Vielleicht ist es keine Liebe. Es ist mir egal, wie man es bezeichnet. Es ist stark, es ist gut und es ist richtig. Wie immer man das nennt, ich will bei dir bleiben.“
Die Erleichterung war enorm und zauberte ein Lächeln in mein Gesicht. Leon wandte sich nicht ab. Nach wie vor fesselte er mich mit diesem Blick. Ich konnte mich wirklich nur schwer davon abhalten, ihn zu küssen. Noch dazu wo er so knapp vor mir stand.
Noch nie zuvor hatte er mir so lange, so intensiv in die Augen geblickt und ich wusste nicht so recht, was er damit bezwecken wollte. Sicher nicht, dass
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