Gebrochene Versprechen
leben, wie Miller es getan hatte: von seiner Familie entfremdet und nur noch den SEALs verpflichtet. Es gab mehr im Leben als das. Und wenn Gott gnädig mit ihm war, würde Sebastian bald selbst eine Familie gründen und Vater werden.
Zuerst müsste er jedoch Leila Eser dazu bringen, ihm ihr Herz zu schenken.
Sie hatten eine Abmachung, er und die türkisch-amerikanische Frau, die im letzten Frühjahr in sein Leben gewirbelt war und alles verändert hatte. Plötzlich war ihm eine Zukunft denkbar erschienen, die er sich zuvor nie vorgestellt hatte – ein Leben jenseits der SEALs als Ehemann und Vater.
Doch Leila, die von ihrem Mann ohne jede Mittel sitzen gelassen worden war, wollte von Sebastian nichts weiter als ein Baby. Mit achtunddreißig tickte ihre biologische Uhr. Also hatte er sich bereit erklärt, ihr ein Kind zu machen, um dafür einmal im Monat ihre Gesellschaft genießen zu dürfen.
Aber das genügte nicht. Und angesichts der Erinnerung daran, wie vergänglich das Leben sein konnte, erschien es Sebastian plötzlich unbedingt notwendig, alles zu versuchen, damit Leila ihre Meinung änderte.
Um das zu erreichen, musste er jedoch ihr geordnetes Leben auf den Kopf stellen und ihren Alltagstrott durchbrechen. Schon beim Gedanken an ihre Entrüstung musste er lächeln. Zornig war sie ebenso leidenschaftlich wie im Bett.
Als der Mond hinter einer Wolke verschwand, schwang Sebastian ein Bein übers Geländer und machte sich an den riskanten Abstieg.
5
Virginia Beach, Virginia
22. September, 03 Uhr 14
Hannah rollte sich auf den Rücken und seufzte. Die durchwachten Nächte in ihrer Zelle in Santiago, in denen sie immer mit einem Ohr bei den Wachen gewesen war, hatten offenbar ihre innere Uhr durcheinandergebracht. Dass Westys Gästebett tausendmal bequemer war als ihre Pritsche in dem spanischen Fort, schien daran nichts zu ändern. Das Bett mit dem von Westy selbst geschnitzten Kopfteil nahm den größten Teil des knapp bemessenen Raums unter dem Dach seines Bungalows im Stil der Vierzigerjahre ein.
Es handelte sich um ein pittoreskes, gemütliches weiß getünchtes Haus mit einer Veranda, Mansarden und einem schwarzen Labrador Retriever namens Jesse. Eigentlich hätte Hannah einfach wunderbar schlafen müssen. Sie war weiß Gott müde genug.
Doch jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, hatte sie Bilder von den vergangenen drei Wochen vor Augen. Ernies herzhaftes Lachen echote durch ihren Kopf und es brach ihr stets aufs Neue das Herz, wenn sie daran dachte, dass sie ihn niemals wiedersehen würde. In dem Chaos nach seinem Tod hatte sie keine Zeit gehabt, ihn zu vermissen. Nun aber traf sie die Trauer mitten ins Herz und weckte Erinnerungen an den verheerenden Verlust, den sie vor drei Jahren erlitten hatte.
Ernie war mehr gewesen als ein Kollege – ein Ersatzvater ähnlich wie Onkel Caleb. Er hatte sie unter seine Fittiche genommen, damit sie sich bei der DIA zurechtfand. Morgens waren sie bei einem Kaffee oft über das Weltgeschehen ins Gespräch gekommen. Ernie hatte ihr Comicstrips aus den Zeitungen für ihre Pinnwand mitgebracht, damit Hannah, wenn sie von ihrer langweiligen Arbeit aufblickte, die Comics sah und zum Lachen gebracht wurde.
Davon, dass Ernie kurz davor gewesen war, Commander Lovitt zu entlarven, hatte sie nichts geahnt. Als sie ihrem Kollegen das letzte Mal begegnet war, hatte er sich auf seinen bevorstehenden »Urlaub« gefreut. In diesem Urlaub musste Ernie Lovitt etwas zu weit auf die Schliche gekommen sein. Vielleicht hatte er herausgefunden, wo Lovitt seine gestohlenen Waffen versteckte.
Hannah schüttelte nachdenklich ihr Kissen auf. Sie hatten Ernies Notizbuch nicht in ihrem Wagen gefunden und zurzeit war es zu riskant, das DIAC zu betreten. Wie wäre es also, wenn sie sich einmal an Ernies sogenanntem Urlaubsort umsähen? Womöglich würden sie dort finden, was Ernie für Lovitt zu einer derart großen Bedrohung gemacht hatte.
Erpicht darauf, zu erfahren, was Luther von ihrer Idee halten mochte, schlug sie die Bettdecke zurück. Die gedämpften Geräusche, die von unten heraufdrangen, verrieten ihr, dass er gerade in der Küche herumrumorte. Die Männer hielten abwechselnd Wache.
Sie schaute auf ihr übergroßes T-Shirt. Weder ihr noch Luther war beim Kauf ihrer neuen Garderobe ein Pyjama in den Sinn gekommen. Also hatte Westy ein überzähliges T-Shirt mit dem Harley-Davidson-Logo und Joggingshorts aufgetrieben. Hannah befand, dass sie ausreichend bekleidet war, und
Weitere Kostenlose Bücher