Geburtstag in Florenz
könne plötzlich ein Ungeheuer daraus hervorstürmen. Aber hinter dem steinernen Gitterwerk regte sich nichts.
»Glauben Sie, daß er zu Hause ist?« Die Stille ringsum war so beeindruckend, daß Fara unwillkürlich im Flüsterton sprach.
»Wie soll ich das wissen?« knurrte der Maresciallo. Aber er wußte es doch, wie man so etwas immer weiß, auch wenn er nicht hätte erklären können, woher. Was an einem leeren Haus sagt einem, daß es leer ist, schon wenn man an die Tür klopft? Oder woran merkt man gleich, wenn man den Telefonhörer ans Ohr hält, daß sich niemand melden wird? Man weiß es einfach. So wie der Maresciallo in diesem Fall nicht nur wußte, daß Forbes irgendwo im Haus war, sondern auch, daß er sie beobachtete.
»Wenigstens wird er inzwischen wieder nüchtern sein«, meinte Fara.
»Falls er nicht schon angefangen hat, sich den nächsten Rausch anzutrinken.«
Auch wenn er das nicht zugeben wollte, hatte der Maresciallo keine Lust, Forbes in nüchternem Zustand zu verhören, jedenfalls nicht, bevor man wußte, woran seine Frau gestorben war. Und wie der Befund auch ausfiel – nichts würde ihn von der Überzeugung abbringen, daß Forbes seine Finger im Spiel gehabt hatte. Aber der Bursche war schlau, viel schlauer als jeder der Carabinieri-Maresciallos. Und darum war es besser, abzuwarten und die Augen offenzuhalten.
»Werden Sie denn gar nicht mit ihm sprechen?« fragte Fara vorsichtig und sah den Maresciallo von der Seite an.
»Nein.«
»Ich bin neugierig auf diese alte Dame. Die von gestern abend scheint ja ein richtiges Original gewesen zu sein.«
»Die hier ist, laut dem stellvertretenden Staatsanwalt, noch schlimmer. Warten Sie hier und behalten Sie die Scheune im Auge.«
»Dann glauben Sie also doch, daß er drin ist?«
»Ach …«
»Da ist er!« Das von hinten verglaste Gitterwerk beeinträchtigte die Sicht nach drinnen. Sie hatten lediglich etwas Helles aufblitzen sehen, das in ihrer Vorstellung zu einem bärtigen Gesicht wurde. »Ich glaube, er beobachtet uns.«
»Dann beobachten Sie ihn.«
»Er könnte sich belästigt fühlen.«
»Soll er ruhig!«
Das unangenehme bei sehr alten Damen ist, daß sie ihr Alter als Waffe einsetzen. Sie tyrannisieren einen damit, ohne daß man sich zur Wehr setzen kann. Bei jeder Wendung des Gesprächs weisen sie einen triumphierend, aber mit vorwurfsvoller Stimme aufs neue darauf hin. Das hier konnte man freilich kaum als Gespräch bezeichnen. Es war eher eine Vorlesung, die in gewissen Abständen von einer Prüfung unterbrochen wurde, einem Konzentrations- und Verständnistest, bei dem der Maresciallo jedesmal kläglich versagte.
»Sie sagten doch Palazzo Pitti, oder? Ich bin nämlich nicht taub, auch wenn ich schon einundneunzig bin!«
»Nein, nein … natürlich nicht. Ja, ich sagte Palazzo Pitti. Da bin ich stationiert …«
»Schön, dann müssen Sie sich doch auch eine Meinung über die Silbersammlung gebildet haben.«
»Ich … es … Ich bin kein Kustos oder so was …«
Um Gottes willen! Womöglich hielt sie ihn für einen Museumswärter.
»Dafür hab ich Sie auch nicht gehalten, nachdem Sie sich ja als Carabinieri-Maresciallo vorgestellt haben. Aber immerhin haben Sie doch zwei Beine.« Ihr Blick darauf ließ erkennen, daß sie seinen Beinen nicht viel zutraute. »Die Silbersammlung ist höchstens ein paar Schritte von Ihrem Büro entfernt.«
»Ja, ja, das stimmt, aber …«
»Dann sind Sie doch bestimmt mal drin gewesen!«
»Ich … ja, aber das ist Jahre her«, log er tapfer.
»Sie ziehen wohl die Gemälde in der Galleria Palatina vor«, meinte sie gelassen.
»Das eigentlich nicht …« Über Bilder wollte er sich schon gar nicht ausfragen lassen.
»Die Präsentation dort läßt eine Menge zu wünschen übrig. Das reinste Depot. Man sieht die Gemälde einfach nicht. Waren Sie mal in Wien?«
»Nein.«
Man sah ihr an, daß sie ihn für einen hoffnungslosen Fall hielt, aber noch hatte sie ihn nicht aufgegeben. Wenn sie’s doch nur täte!
Sie war klein, und ihre Figur ließ sich unter dem grünen Kostüm aus genoppter Wolle nicht recht ausmachen. Mit ihren wirr zu Berge stehenden Haaren wirkte sie erschrocken und abschreckend zugleich, und ihre stechenden Augen durchbohrten einen wie der Blick des Staatsanwalts beim Verhör.
»Also wenn Sie mal nach Wien kommen, dann gehen Sie ins Kunsthistorische Museum.«
»Mach ich.«
»Gut. Die Bruegels werden Ihnen bestimmt gefallen. Sie haben ja selber was von einer
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