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Geburtstag in Florenz

Geburtstag in Florenz

Titel: Geburtstag in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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Blick begegnete dem seinen stumpf und hoffnungslos. Und obwohl er gar nicht erst den Mund aufmachte, hörte der Maresciallo ihn sagen: »Weil ich Angst hatte. Immerzu hab ich Angst gehabt.« Seine Knie bluteten, doch er sprach nie darüber. Vielleicht spürte er es auch gar nicht mehr. Ihm ging es nur darum, daß Guarnaccia sein Pausenbrot mit ihm teilte, die üblichen zwei Riesenschnitten mit Mortadella, eingewickelt in braunes, mit Fettflecken gesprenkeltes Pergamentpapier. Dummerweise war Guarnaccia selber schrecklich hungrig, und seine Mutter hatte ihm eingeschärft, er solle sein Schulfrühstück alleine aufessen.
    »Wenn du ihm einmal was abgibst, erwartet er das jeden Tag. Mir fällt’s schon schwer genug, dich satt zu kriegen, anderer Leute Kinder kann ich nicht auch noch durchfüttern. Und er hat schließlich selber eine Mutter, egal, was sie für eine ist.«
    Doch der Maresciallo konnte den Gedanken an Vittorios Mutter nicht ertragen. Er umklammerte sein dickes Pausenbrot fester, bis ihm das Fett von den Fingern tropfte. An seiner Uniform konnte er sie natürlich nicht abwischen, aber als er an sich hinuntersah, stellte er erleichtert fest, daß er nicht seinen Uniformrock trug, sondern den schwarzen Schulkittel. Trotzdem brachte er es nicht fertig, sein Brot zu essen, solange Vittorio ihn mit seinen ausdruckslosen Augen anstarrte. Er würde sich irgendwo verstecken müssen, aber wo? Er sah sich im Gerichtssaal um, doch da gab es keinen Winkel, in dem sie ihn nicht erspäht hätten – Fusarri, die Signora Torrini, der Richter … vor allem aber Vittorio … »Du, halt dich von diesem Bengel fern. Was der schon für eine Mutter hat …«
    Tja, und nun hatte er sie umgebracht. Sie hatte am Weihnachtsabend betrunken in der Wohnung gelegen, und er hatte zusammen mit den anderen so lange nach ihr getreten, bis sie es mit der Angst bekamen und das stöhnende Bündel dem Maresciallo aufhalsten, vor dem sie sich als unbeteiligte Passanten ausgaben. Zuerst, als er sie zudeckte, während er auf den Krankenwagen wartete, hatte er geglaubt, ihren Puls zu ertasten … »So, Sie glaubten?« wiederholte der Staatsanwalt, und seine Stimme triefte vor Ironie. »War die Frau tot – ja oder nein?«
    »Ich bin kein Arzt«, wehrte sich der Maresciallo. »Ich dachte: Vielleicht kommt sie durch. Sie war schwer verletzt, aber bei Betrunkenen kommt es manchmal vor, daß …«
    »Entschuldigen Sie, wenn ich schon wieder unterbreche, Maresciallo, aber ich meine mich zu erinnern – und gewiß erinnern sich auch die Geschworenen –, daß Sie uns eben erst erzählt haben, der Ehemann sei betrunken gewesen! Und zwar nicht bloß betrunken, sondern so hinüber, daß er bewußtlos auf dem Bett zusammengebrochen war, während nebenan der Leichnam seiner Frau lag!«
    Wo hatte er sich geirrt? Er versuchte sich an der Kopie seines schriftlichen Berichts zu orientieren, aber der war durch die Fettflecken genauso verschwommen und unkenntlich wie vorhin die Stimme des Richters.
    »Es tut mir leid …«
    »Ihnen tut es leid? Nein, Maresciallo, mir tut’s leid, daß ich nun eine Vertagung beantragen muß, wenigstens bis nach der Obduktion!«
    Alle strebten dem Ausgang zu. Das war’s dann also, zumindest fürs erste.
    Der Maresciallo schlug die Augen auf, begriff, daß er im Bett lag und träumte, und wußte zugleich, daß er sich – Traum hin oder her – beim Erwachen mit just diesen Problemen und obendrein noch mit seiner Diät würde herumschlagen müssen.
    »So ein Mist!«
    Und damit versank er wieder im Tiefschlaf.
    3
    »Eigentlich ist es nur eine fiebrige Halsentzündung. Aber ich hab ihn vorsichtshalber im Bett behalten …«
    »So fängt es bei allen an, aber dann schlägt’s auf den Darm. Sie werden schon sehen.«
    »Mich erwischt das Fieber nie, ich weiß auch nicht, woran das liegt …«
    Die Schlange schien kaum kürzer zu werden, und das nicht nur, weil sich für jeden abgefertigten Kunden ein neuer hintanstellte, sondern weil alle als Zugabe zu den unwirksamen Grippemitteln einen guten Rat und ein bißchen Anteilnahme erwarteten. Nicht viele Leute holten den Doktor ins Haus, außer wenn die Kinder krank waren, und ein gemütliches Schwätzchen mit dem Apotheker oder seiner Frau war ein höchst befriedigender Ersatz für eine Konsultation beim Arzt – und außerdem ging’s hier lockerer zu als in der Sprechstunde.
    Der Maresciallo wartete und sah zu. Er stand nicht in der Grippeschlange, sondern saß an der Seite, wo der

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