Geburtstag in Florenz
Wenn Sie also die Berichte noch fertigkriegen, dann können wir bei Dienstschluß alles zusammen wegschicken.«
»Wenn ich sie fertigkriege …«
Er schaffte es mit knapper Not. Erst schrieb er den Durchsuchungsbericht und die Quittungen für Paß und Medikamente, dann öffnete er das Päckchen mit den Fotos, in der Hoffnung, darauf etwas zu entdecken, was er vor Ort übersehen hatte. Aber nein, Fehlanzeige. Nur die parfümierten Schaumflocken auf dem kalten, rotgefärbten Wasser und knapp darüber die blicklos auf ihn gerichteten Augen. Auf dem ersten Foto, das aufgenommen worden war, nachdem sie die Leiche umgedreht hatten, war auch seine Hand zu sehen. Die Glasscherbe in ihrem Gesäß. Das Getränk hatte sie nicht umgebracht – was immer in dem Glas gewesen war, sie hatte nicht davon getrunken. Aber warum lag es dann unter ihr? Er versuchte sich vorzustellen, was passiert, wenn einem ein Glas in die Wanne fällt und zerbricht. Man würde raussteigen, oder? Nicht drin sitzen bleiben und die Scherben aus dem Wasser fischen, sondern aufstehen … und vielleicht ausrutschen und sich schneiden – aber ob man dann nicht schrie? Oder ohnmächtig wurde … In jedem Fall würde es einigen Lärm verursachen, und Forbes – Forbes war nicht betrunken, zu dem Zeitpunkt noch nicht. Sie waren gerade erst heimgekommen, und Signora Torrini hatte sie noch gesehen. Die alte Dame würde sagen – oder fiele das auch unter die Rubrik übler Nachrede gegen einen, der so gut wie tot war? Er würde sie selber fragen müssen. Eins aber konnte er sofort klären. Er rief das gerichtsmedizinische Institut an.
»Nein, bedaure, er ist nicht da. Kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen? Ich bin sein Assistent …. Ja … ja … hab ich – nein, nicht nötig, ich erinnere mich ganz genau, daß wir die Schnittwunden auf post mortem diagnostiziert haben. Es ist zwar relativ viel Blut ausgetreten, weil sie im warmen Wasser lag und obendrein mit dem ganzen Körpergewicht auf den Scherben lastete, aber kein Vergleich zu der Blutung, die solch tiefe Schnittwunden ausgelöst hätten, wenn sie noch am Leben gewesen wäre. Sonst noch was? … Keine Ursache.«
Eine Sackgasse. Dann also die Fastenkur. Die einzige, die er danach fragen konnte, war Signora Torrini, aber die ging nicht ans Telefon, obwohl er es ewig läuten ließ, weil er einkalkulierte, daß sie den Apparat erst lange würde suchen müssen. Merkwürdig. Er hatte den Eindruck gehabt, sie ginge nicht mehr aus, obwohl natürlich von Zeit zu Zeit der berühmte Giorgio auftauchen und sie vielleicht irgendwohin begleiten würde. Nun, da half alles nichts: Er mußte sich bei Gelegenheit an Forbes persönlich wenden. Ein Gedanke, der ihm gar nicht gefiel. Er war nach wie vor der Meinung, daß jeder andere besser geeignet wäre, Forbes zu verhören. Der Maresciallo gestattete sich einen flüchtigen Gedanken an die Signorina Müller, verwarf ihn jedoch gleich wieder. Das war mit ziemlicher Sicherheit eins von den Themen, über die sie nicht nachdachte. Er konnte sich ihre Reaktion lebhaft vorstellen: ›Fastenkuren!‹ Und dann würde sie das Gespräch unverzüglich auf eine höhere Ebene emporstemmen.
Seufzend fing er an zu tippen.
Unmittelbar nach Betreten des Schauplatzes wurde im Badezimmer des fraglichen Hauses, dessen Raumaufteilung den beigefügten Plänen zu entnehmen ist, ein weiblicher Leichnam sichergestellt … Es kam darauf an, sich gegen alle Eventualitäten abzusichern. Der Maresciallo schob die Zunge zwischen die Zähne, zielte mit zwei Wurstfingern auf die gewünschten Tasten und schrieb:
Aus den am Leichenfundort sichergestellten Spuren lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinerlei verbindliche Rückschlüsse auf Fremdeinwirken ableiten. Unter dem Vorbehalt, Nachstehendes gegebenenfalls durch Erkenntnisse aus meinen weiteren Ermittlungen ergänzen zu dürfen, übersende ich Ihnen in der Anlage: – Totenschein – Durchsuchungsbericht – Sequestration zu zwei Arzneikapseln – Sequestration zum Reisepaß von FORBES, JULIAN – Fotografische Dokumentation – Protokolle der Aussagen von TORRINI, EUGENIA und MÜLLER, ELISABETH
»Maresciallo?« Lorenzini klopfte kurz und kam mit dem Päckchen herein, als der Maresciallo eben seine Unterschrift unter den Bericht setzte, in dem alles aufgelistet, aber nichts geklärt war.
Er nahm die kleine, mit Bindfaden verschnürte Schachtel entgegen. »Bitten Sie doch einen der Jungs um ein Feuerzeug,
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