Geburtstag in Florenz
Frau.«
Wieder konsultierte er seine Hände. Der Capitano konsultierte, sehr diskret, seine Uhr. Aber er wartete weiter ruhig ab.
»Sie hatte nicht mal einen Kratzer. Keine Schramme oder auch nur einen winzigen blauen Fleck. Und überhaupt nichts im Magen, wie leer gefegt. Aber warum sollte eine kerngesunde, noch relativ junge Frau plötzlich ohnmächtig werden oder so …«
»Vielleicht grade wegen des leeren Magens. Frauen machen, glaube ich, mitunter ganz drastische Fastenkuren.«
Diese Bemerkung wirkte auf den Maresciallo wie ein elektrischer Schlag. Mit einem Ruck setzte er sich kerzengerade hin und stammelte, krebsrot im Gesicht: »Ich hätte nie gedacht …«
»Na ja, ich würde mir da keine allzu großen Hoffnungen machen, aber prüfen Sie’s einfach mal nach.«
Der Maresciallo saß da wie betäubt.
»Ich weiß, wie schwer Sie’s haben«, half der Capitano wider besseres Wissen nach. »Ist ein bißchen viel, was da auf Sie zukommt, noch dazu, wo Ihnen nur ein erfahrener Mann zur Verfügung steht, und Lorenzini muß ja im Büro bleiben, wenn Sie auswärts sind. Wenn ich könnte, würde ich Ihnen Verstärkung schicken – ich weiß selber, wie es ist, wenn man sich von einem Staatsanwalt unter Druck gesetzt fühlt, der vergißt, daß man außerdem noch ein ganzes Stadtviertel überwachen muß …«
»Nein, nein!« beteuerte der Maresciallo verlegen und starrte auf seinen Schuh. Und dann heftete er den Blick starr auf ein Landschaftsgemälde in Öl aus dem siebzehnten Jahrhundert an der Wand zu seiner Linken und ließ sich geschlagene sieben Minuten beharrlich über Personalprobleme aus.
Der Capitano spürte, daß ihm die Situation entglitt. Er hatte genau das getan, was er hätte vermeiden sollen. Und war es denn nicht ganz verständlich, daß es dem Maresciallo schwerfiel, sich freiheraus über den stellvertretenden Staatsanwalt, den man ihm zugeteilt hatte, zu beschweren, wie ein Schuljunge, der mit dem neuen Lehrer nicht zurechtkommt?
Taktvoll und geduldig klinkte der Capitano sich wieder in den weitschweifigen Diskurs ein, und nun arbeitete man sich gemeinsam in korrekter Form vor, mit allen nötigen Winkelzügen und Umwegen über frühere Personalabsprachen, Kollegen, die inzwischen versetzt worden waren, Fälle, die dieser oder jener bearbeitet hatte, bis sie, mit der gebührenden Verzögerung, auf einen gewissen Entführungsfall zu sprechen kamen und auf einen gewissen stellvertretenden Staatsanwalt Virgilio Fusarri, der damals gerade erst in Florenz angefangen hatte.
»Und raucht er immer noch diese schrecklichen Zigarillos?« fragte der Capitano, nachdem er Erstaunen darüber geheuchelt hatte, daß ausgerechnet Fusarri den neuen Fall bearbeitete.
»Unentwegt, einen nach dem anderen. Und die Signora … die Besitzerin der Villa Torrini, wo es passiert ist, die raucht fast genausoviel. Allerdings Zigaretten. Die beiden sind alte Freunde …«
»Könnte das zu Komplikationen führen?«
»Ich weiß nicht. Glaub ich eigentlich nicht, aber man weiß ja nie.«
»Nun, wenn nicht, dann würde ich mir seinetwegen auch keine allzu großen Sorgen machen. Ich weiß, er hat eine sehr merkwürdige Art … Diese Angewohnheit von ihm, einem immer nur halb zuzuhören, und das mit der belustigten Anteilnahme eines privilegierten Beobachters, dessen eigentliche Interessen ganz woanders liegen. Das einzige, worauf er sich meiner Erfahrung nach je ernsthaft konzentriert, ist das Essen.«
»Ja, mag sein.« Ausgerechnet das konnte der Maresciallo nun gar nicht so töricht finden. »Mich stört eigentlich mehr die Art, wie er mir zu schmeicheln vorgibt. Dauernd dieses: ›Das überlasse ich Ihnen.‹«
»Vielleicht ist es ihm ernst damit.«
»Pah. Und wenn nun alles schiefgeht?«
»Ich finde wirklich, Sie sollten sich vorab keine unnötigen Sorgen machen. Ich gestehe, daß ich in der Beziehung die gleichen Bedenken hatte seinetwegen, aber ich muß auch zugeben, daß er, als es brenzlig wurde, zu mir gestanden hat.«
Der Maresciallo erhob sich. Er machte immer noch ein ganz unglückliches Gesicht.
»Ich sollte Ihre Zeit nicht so lange in Anspruch nehmen.«
»Nicht doch! Ich bringe Sie runter. Ich muß sowieso gleich außer Haus.« Damit klingelte der Capitano nach seinem Adjutanten und bestellte einen Wagen.
Schweigend gingen sie den frisch gewachsten Klosterkorridor entlang. Unter ihnen im Kreuzgang heulte der Motor eines Streifenwagens auf. Im ehemaligen Refektorium, das die ganze Länge des
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