Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln
große Kupfermatte verlegt werden, damit die Elektronen nicht nur auf eine möglichst große Fläche, sondern vielmehr auf ein möglichst großes Volumen verteilt werden. Erst dann ist ein Blitzableiter ein wirksamer Schutz. Das Kupfer unterhalb des Hauses wird mit der Zeit allerdings immer stärker korrodieren und der Blitzableiter nach einigen Jahrzehnten unbrauchbar. Deshalb sollte man den Blitzableiter durch eine einfache Messung von einem Elektriker alle fünf Jahre überprüfen lassen. Aber natürlich nicht während eines Gewitters, sonst ist am Arbeitsmarkt vielleicht blitzartig eine Stelle wieder frei. Weil ein Blitz also auf eine große Fläche verteilt werden muss, um unschädlich zu sein, handelt es sich um einen Trugschluss, dass man in einem Gebäude in jedem Fall sicherer ist bei Gewitter. In der Stadt ist man in einem Haus zwar relativ safe, weil es trotz fortschreitender Säkularisierung noch immer genug Kirchtürme gibt, die dann für Atheistinnen und Atheisten doch noch einen Sinn haben. Im Gebirge muss man aber abwägen. Denn der Untergrund, auf dem die Schutzhütten stehen, ist meist per definitionem steinig, deshalb ist die Anbringung eines Blitzableiters schwierig. Wenn man auf einer Bergwanderung in ein Gewitter gerät und eine Hütte mit Blitzableiter ist in der Nähe, dann funktioniert der meist auch. Wenn es sich aber nur um einen Unterstand handelt, sollte man sich dem lieber nicht nähern, sondern im Regen bleiben. Der stellt nämlich eine Erhebung dar, die dem Blitz gefällt: Jedes Jahr gibt es in den Bergen ein paar Todesopfer, die sich eigentlich in Sicherheit wähnten. Falls Sie in einer Abteilung arbeiten und Ihr Chef jünger und besser qualifiziert als Sie ist – und daher unter normalen Umständen Ihre Karriere in der Firma zu Ende –, dann sollten Sie, falls Sie beim nächsten Betriebsausflug in die Berge von einem Gewitter überrascht werden, untertänig vorschlagen: „Chef, stellen Sie sich unter. Mir macht der Regen nichts aus!“ Der Boss wäre damit versorgt, aber Sie und Ihre Kollegenschaft sind damit noch nicht aus dem Schneider. Denn Sie sind noch immer höher als Gras oder Büsche.
Ein volkstümlicher Ratschlag lautet: Eichen weichen, Weiden meiden, Buchen suchen! Dass es sich dabei um einen schlechten Ratschlag handelt, wissen wir bereits. Aber wie kam es zu dem lebensgefährlichen Merksatz? Die Antwort ist eine in den Naturwissenschaften oft gebrauchte: Man weiß es nicht genau. Möglicherweise kommt es daher, dass die Rinde einer Buche glatt ist, die einer Eiche aber furchig. Das heißt, sie kann vergleichsweise viel Wasser speichern. Wenn nun der Blitz in die Eiche einschlägt, dann verdampft das Wasser durch die hohen Temperaturen – Sie erinnern sich, 30.000°C – explosionsartig und die Rinde schaut danach entsprechend havariert aus. An der Buchenrindenoberfläche hinterlässt der Blitz hingegen nur wenige Spuren, sie erweckt daher den Eindruck, vor Blitzen zu schützen. Wofür das wieder einmal ein Paradebeispiel ist, brauche ich, glaube ich, nicht mehr extra zu erwähnen.
Es könnte aber auch sein, dass es sich um einen Übertragungsfehler handelt und nicht die Buche gemeint war, sondern die „Bucke“. Büsche wie der Beifuß wurden früher manchenorts als Bucken bezeichnet, der Rat lautet mithin, sich bei Gewitter in die Büsche zu schlagen. Das ist schon besser, als Schutz unter einem Baum zu suchen. Am besten wäre es aber, sich auf der freien Ebene in eine Vertiefung zu hocken, mit geschlossenen Beinen, und zu hoffen, dass nichts passiert. Wenn es Sie tröstet, können Sie auch beten, dem Blitz wird das aber egal sein. Wenn er Sie treffen will, dann trifft er Sie, dann lässt er sich von einer unsichtbaren Sagengestalt, zu der Sie flehen, nicht beeindrucken. Geschlossene Beine deshalb, weil die Elektronen, wie die meisten Menschen auch, den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Wenn sie also von der Seite vorbeikommen, dann kann es zwar sein, dass sie erst ins eine Bein durch einen Schuh „hineinwandern“, aber dann springen sie umgehend zum anderen Bein hinüber und verlassen den Körper wieder. Das ergibt vielleicht ein paar Brandblasen auf den Füßen und den Bedarf nach neuem Schuhwerk. Hat man die Beine gegrätscht oder, noch schlechter, liegt man am Boden, dann befinden sich an einem Ende viele Elektronen, am anderen sehr wenige, und die vielen wandern dann durch den Körper durch und hinterlassen eine Spur der Verwüstung. Man spricht in so
Weitere Kostenlose Bücher