Gedankenmörder (German Edition)
könnte. ‹Sie ist mir fremd geworden›, dachte er ein ums andere Mal. Auch Iras freundliche Zuwendung und Aufmerksamkeit in diesen Tagen konnten nicht über seine Beklommenheit hinweghelfen. ‹Etwas ist anders als früher›, dachte er. Aber er traute sich nicht zu fragen, was es war.
Als Ira schließlich nach Bornholm abfuhr, hatten sie noch immer nicht miteinander geredet. Ira hatte seine gedrückte Stimmung mit seinem Fall in Zusammenhang gebracht und ihn bei der Verabschiedung liebevoll als komplett urlaubsreif bezeichnet.
«Bald haben wir eine Terrasse mit Blick aufs Meer und viel Zeit und Ruhe für uns», hatte sie ihn getröstet und ihm einen innigen Kuss aufgedrückt. Steenhoff hätte sie am liebsten nicht mehr losgelassen, aber sie befreite sich aus seinem Arm, winkte ihm noch einmal fröhlich zu und setzte sich in das wartende Taxi.
Die darauffolgende Woche verlief schleppend. Sein Aktenstudium hatte kaum neue Ansätze ergeben. Steenhoffs Notizen waren nicht der Rede wert. ‹Eigentlich sollte ich froh sein, dass wir tatsächlich nichts übersehen haben›, dachte Steenhoff. Doch in Wirklichkeit machte sich eine wachsende Verzweiflung in ihm breit. Seine Stimmung wurde auch dadurch nicht besser, dass Andrea Voss im Weser-Kurier unerwartet einen neuen Artikel veröffentlicht hatte.
Die Überschrift
«Wann schlägt der unheimliche Mörder erneut zu? Bremer Kripo tappt weiterhin im Dunkeln»
ärgerte und kränkte ihn zugleich. Spontan griff Steenhoff zum Telefon, um mit der Redakteurin zu sprechen. Doch sie hatte frei, wie ihm ein Praktikant, der an dem Tag auf ihrem Platz saß, erzählte.
Die Badezimmerrenovierung in dem Ferienhaus zog sich, wie erwartet, länger als geplant hin. Wohl um ihren Mann bei Laune zu halten, wie Steenhoff vermutete, schickte Ira gleich mehrere liebevolle SMS täglich. Wie sie vorher gesagt hatte, sah und hörte er in dieser Zeit kaum etwas von seiner Tochter. Die meiste Zeit hielt sich Marie bei ihrer Freundin auf. Gemeinsam verbrachten die beiden viele Nachmittage auf der Jugendfarm, die ihnen in diesem Sommer ein zweites Zuhause geworden war.
Nur bei Petersen ging es überraschend gut voran. Früher als erwartet war sie aus dem Krankenhaus entlassen worden. Fünf Tage später meldete sie sich morgens wieder zum Dienst. Steenhoff protestierte und hätte sie am liebsten wieder nach Hause geschickt, doch Petersen bestand darauf, dass sie trotz ihres Gipsarmes wieder fit sei. «Aber bei wilden Verfolgungsjagden lassen wir dich hier im Präsidium zurück», kündigte Steenhoff drohend an.
Petersen grinste ihn an. «Schon klar. Ich koche den Helden dann bei ihrer Rückkehr einen persischen Kaffee.»
Drei Tage später meldete sich am frühen Abend Andrea Voss bei Steenhoff. Da er gerade in einer Besprechung war und sein Handy nur auf Vibrieren gestellt hatte, drückte er das Gespräch nach einem Blick auf das Display kurzerhand weg. Fünf Minuten später steckte die Sekretärin Marianne Schwenning den Kopf zu seinem Büro hinein.
«Frank, Frau Voss möchte dich unbedingt sprechen.»
«Sag ihr bitte, dass ich beschäftigt bin. Ich versuche, sie heute oder morgen zurückzurufen. Und lass dir nicht aufschwatzen, dass es supereilig sei oder so. Das ist der Standardspruch von Journalisten.»
Schwenning nickte und schloss die Tür geräuschvoll hinter sich. Zehn Minuten später vibrierte sein Handy erneut. Diesmal war es der Kriminaldauerdienst.
«Entschuldigt mich kurz», unterbrach Steenhoff die Besprechung. «Jemand vom Dauerdienst ist dran.»
Es war der Leiter des Kriminaldauerdienstes persönlich.
«Frank, ich bin es, Werner Müller. Bei uns hat sich die Andrea Voss vom Weser-Kurier gemeldet. Sie sagt, dass sie dich unbedingt sprechen muss und klagt, dass sie dich nicht zu fassen kriegt.» Steenhoff stöhnte wütend auf.
«Nein, verdammt noch mal, weil ich nämlich in einer Besprechung sitze. Wozu haben wir eigentlich eine Pressestelle?»
Werner Müller nahm den Wutausbruch gleichmütig hin. «Ich wollte es dir nur weitergeben. Ehrlich gesagt klang sie ziemlich aufgeregt.» Steenhoff sah sich seufzend in der Runde um.
«Wir machen eine kurze Pause. Ich muss die Voss mal in ihre Schranken weisen. Die geht mir mit ihrer Penetranz gehörig auf den Geist.» Während seine Kollegen in die Cafeteria gingen, um sich Kaffee und Kuchen zu holen, wählte Steenhoff die Festnetznummer der Journalistin.
Andrea Voss war sofort dran.
«Frank! Gut, dass du endlich
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