Gedankenmörder (German Edition)
in der Obduktion eines an einem Gehirntumor gestorbenen Mannes tatsächlich von ihr wissen wollte, was sie denn abends kochen wolle.
«Meine Hände waren blutverschmiert, und ich konnte gar nichts antworten, Herr Kommissar. Und dann sagt dieser junge Mediziner doch glatt zu mir» – die Frau legte eine kleine rhetorische Pause ein – «Meine Frau und ich machen uns heute Abend einen richtig schönen Gemüseeinlauf.»
Prustend vor Lachen schlug sich Helga Meyer auf die Oberschenkel. Steenhoff lachte höflich mit.
Da Petersen keine Reaktion zeigte, legte Helga Meyer noch einmal nach.
«Na, der meinte natürlich Auflauf statt Einlauf, Mädchen.»
Petersen quälte sich ein Schmunzeln ab und bekam sofort die Quittung. Mit einem verschwörerischen Blick auf den Kommissar sagte Helga Meyer: «Na ja. Das sind die Feinheiten der deutschen Sprache. Das können Ausländer sicherlich nur schwer verstehen.»
Petersen richtete sich auf.
«Da haben Sie vollkommen recht, Frau Meyer. Dafür fehlt uns Iranern wirklich das Verständnis. Tatsächlich wird in meinem Heimatland nur selten über die Menüfolge des Abendessens geredet, wenn wir gerade im Gehirn eines Mannes herumrühren.»
Für einen Moment war Helga Meyer sprachlos. Hilfesuchend schaute sie auf Steenhoff. Doch der Kripobeamte hatte kaum auf das Geplänkel der beiden Frauen geachtet. Die ganze Zeit über wurde er das Gefühl nicht los, dass die Zeugin trotz ihres Redeflusses das Wichtigste wegließ. Plötzlich kam ihm Andrea Voss in den Sinn. Bei einem der letzten Pressestammtische hatte die Journalistin nach dem dritten Bier zu ihm gesagt: «Unsere Berufe sind gar nicht so unähnlich. Du verhörst Leute, wir interviewen sie. Und wenn die nichts erzählen wollen, dann behaupten wir einfach, mehr zu wissen, als wir es tatsächlich tun.»
«Und wann haben Sie das erste Mal bemerkt, dass etwas in der Pathologie nicht stimmt?», fragte Steenhoff die Zeugin unvermittelt. Seine Stimme klang plötzlich eisig, und seine Augen fixierten die Frau. Helga Meyer starrte den Polizisten mit offenem Mund an. «Woher, woher wissen Sie», stammelte sie aufgewühlt.
«Also?», sagte Steenhoff streng. Plötzlich war alle Fröhlichkeit aus Helga Meyer gewichen.
Petersen hielt den Atem an, und auch Steenhoff spürte, wie die Spannung in ihm wuchs. Die Frau schaute unruhig zwischen Petersen und Steenhoff hin und her.
«Vor zwei Wochen war über Nacht das Nachthemd einer Leiche in einer der Kühlkammern hochgerutscht. Sie lag ganz nackt da. Richtig schutzlos.»
«Sie?», fragten Steenhoff und Petersen wie aus einem Munde. «Ja, es war eine junge Frau, die einen tödlichen Reitunfall irgendwo in der Nähe erlitten hatte.»
«Und warum haben Sie das nicht gemeldet?», wollte Petersen wissen.
Tonlos antwortete Helga Meyer: «Ich wollte es einfach nicht glauben, dass sich jemand an dieser armen Frau vergriffen hat.» Hoffnungsvoll schaute sie die Beamten an.
«Vielleicht ist ihr Hemd ja auch nur beim Transport hochgerutscht. Ich habe sie einfach wieder zugedeckt. Und das komische Tuch zwischen ihren Beinen habe ich weggeworfen.»
Nachdem Helga Meier sein Büro verlassen hatte, fertigte Steenhoff einen kurzen Bericht an. Petersen schickte er noch einmal ins Krankenhaus. Sie sollte sich um den Pathologen kümmern. Ihn hatten sie bislang noch gar nicht befragt.
Nachdem er seine Unterlagen sortiert hatte, entschied Steenhoff, an die Weser zu fahren. Der stetig dahinfließende Fluss beruhigte ihn immer, wenn sich seine Gedanken im Kopf zu drehen anfingen. 20 Minuten später parkte er sein Dienstfahrzeug auf der linken Weserseite in der Nähe eines kleinen Rudervereins. Direkt am Wasser stand unter einer mächtigen Kastanie eine gusseiserne Bank, auf der außer ihm nie jemand zu sitzen schien.
Vor ihm zog ein Vierer mit Steuermann flussaufwärts in Richtung Weserwehr. Die Ruderblätter tauchten fast lautlos ins Wasser, vollzogen alle synchron einen kleinen Halbkreis in der Luft und verschwanden zur gleichen Zeit wieder im Wasser. Mit einem erstaunlichen Tempo entglitt das schmale Boot seinem Sichtfeld.
Steenhoff musste an das Gespräch mit Gerhard Marlowski denken. «So einer macht weiter. Der ist total krank.»
Verdammt. So einen hatte er vor allem noch nie gehabt. Oder gab es Parallelen mit den Schnippeleien an der Prostituierten vor vielen Jahren? Steenhoff beschloss, die Fallanalytiker im Präsidium zu befragen. Sollten die sich doch mal nützlich machen und die
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