Gedankenmörder (German Edition)
lackiert. Schwer vorzustellen, dass sie bei ihrer Sorgfalt eine wichtige Telefonnummer falsch aufschreiben würde. Steenhoff ging wieder aus dem Raum. Bevor er die Tür schloss, hörte er die Schwester noch sagen: «Also, die Nase gefällt mir noch nicht. Die war anders. Ein wenig knolliger.»
Auf dem Weg in sein Büro spürte er auf einmal, wie sein Magen knurrte. Er machte auf der Stelle kehrt, um in die Kantine des Präsidiums zu gehen. Dort war kaum etwas los. Leider gab es nur noch Salat und Rote Grütze mit Vanillesoße. Steenhoff griff sich gleich zwei Schälchen und beschloss, am Abend endlich mal wieder joggen zu gehen. Im Herbst sollte es einen Bremen-Marathon geben. Höchste Zeit, sich darauf vorzubereiten, dachte Steenhoff und hatte das erste Schälchen Rote Grütze schon verputzt. Er wollte gerade das zweite in Angriff nehmen, als sein Handy klingelte.
«Hallo, Frank, ich bin’s. Andrea Voss.» Ohne eine Antwort abzuwarten, fügte die Journalistin hinzu: «Ich nehme doch stark an, wir sitzen an derselben Sache.»
«Moin, lange nichts gehört», antwortete Steenhoff ausweichend. Obwohl er es vermied, ihren Namen zu nennen, schaute er sich um, ob jemand in seiner Nähe war. Ein guter Draht zur Presse war vielen Kollegen suspekt, ja, für manche geradezu anrüchig. Entweder hatte man den Stempel «mediengeil», «eitel» oder, schlimmer noch, man unterstellte den Polizisten ein Verhältnis mit den Reporterinnen der unterschiedlichen Blätter. Sollten die Medien aber für die Polizei etwas tun, eine fingierte Fahndung ins Blatt heben oder sie davon überzeugen, für ein Schaufenster die Werbetrommel zu rühren, in dem die Polizei am Tatort zurückgelassene Utensilien ausstellte, dann wandten sich viele Kollegen hilfesuchend an Steenhoff. Er war es dann auch, der den Reportern klarmachen musste, dass das Schaufenster natürlich videoüberwacht war, sie darüber aber nichts schreiben dürften.
Mit Andrea Voss hatte er in den vergangenen Jahren häufiger zu tun gehabt. Es war ein fairer Umgang gewesen. Nicht selten hatten Zeugen sich bei ihr gemeldet, die aus verschiedensten Gründen die Polizei scheuten. Statt gleich eine Geschichte zu veröffentlichen, hatte sie oft Steenhoff informiert und sich mit ihm beraten.
Diesmal aber wollte sie Informationen von dem Kommissar.
«Wisst ihr schon, ob dieser Freund, der die junge Frau auf der Intensivstation besucht hat, tatsächlich ihr Lover war?» «Wieso fragst du das?», sagte Steenhoff. «Nun, das Krankenhauspersonal hat sich gewundert, dass der nicht wiederaufgetaucht ist.» «Wer genau wundert sich?», setzte Steenhoff nach. Diese Plaudertaschen aus dem Krankenhaus würden ihm noch die ganzen Ermittlungen kaputt machen. Doch Andrea Voss ließ sich nichts Genaueres entlocken. «Wie ich schon sagte, das Personal. Also: Ist er der Freund?» «Das wissen wir noch nicht genau. Wahrscheinlich bekommt ihr noch heute ein Phantombild von dem Typen.»
«Also doch der Täter», folgerte Andrea Voss sofort. Doch Steenhoff wehrte ab. «Das ist tatsächlich noch nicht klar, Andrea. Vielleicht hat er sich angesichts seiner sterbenden Freundin auch selber das Leben genommen oder hat gesoffen bis zum Umfallen und liegt jetzt depressiv in seiner Wohnung. Was weiß ich? Aber man muss aufpassen, den nicht gleich als Täter abzustempeln.»
«Aber wahrscheinlich ist es», sagte Andrea Voss nüchtern. Innerlich musste Steenhoff ihr recht geben. «Und falls der Täter nicht zum Personal gehörte, wie konnte er dann in die verschlossene Pathologie kommen? Habt ihr Aufbruchspuren gefunden?» «Nein», sagte Steenhoff. «Und die anderen Fragen kann ich dir tatsächlich noch nicht beantworten, selbst wenn ich wollte.»
«Mit wie vielen Leuten sitzt ihr eigentlich an dem Fall?», versuchte es Andrea Voss erneut. Steenhoff seufzte. Die Frau war hartnäckig. Ein Wesenszug, der einem oft den letzten Nerv rauben konnte, den er sich bei manch einem seiner Kollegen allerdings sehnlichst wünschte. «Wir sind zu fünft, aber du musst, wenn du schreibst, einen dazurechnen oder einen Mann abziehen, sonst geht gleich die Suche nach dem Maulwurf hier im 1 . K. los», sagte Steenhoff. «Ist schon klar», antworte Andrea Voss. Steenhoff verabschiedete sich von der Journalistin, als er sah, dass Wessel in der Kantinentür auftauchte und sich suchend nach ihm umschaute. Sein Kollege wirkte angespannt. «Frank, wir müssen uns zusammensetzen. Sofort.»
Steenhoff ließ die zweite Schüssel
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