Gedankenmörder (German Edition)
beiseite.
Der Anblick der zerbissenen Brüste der Toten ließ seine Kollegin zusammenfahren.
«Geht es?», fragte Steenhoff besorgt und nahm sie unwillkürlich in den Arm. Die Beamtin ließ es geschehen.
«Ich habe genug gesehen», sagte Behrens mit gepresster Stimme. Steenhoff ließ sie los, bedankte sich bei dem Mann und begleitete seine Kollegin vor die Tür.
«Du hast sie erkannt, nicht wahr?»
Behrens nickte.
«Mein Gott. Was hatte die für ein beschissenes Leben», Behrens musste schlucken, bewahrte aber die Fassung.
«Ja», sagte Steenhoff und fügte hinzu: «Und einen noch beschisseneren Tod.»
Schweigsam fuhren sie zurück ins Präsidium.
«Du hast uns sehr geholfen», bedankte sich Steenhoff bei Behrens.
«Das ist doch selbstverständlich», antwortete die Kollegin.
Sie wirkte bedrückt, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. Steenhoff begleitete sie noch bis zum Eingang ihres Kommissariats, obwohl er in die andere Richtung musste, und hielt ihr, ohne lange nachzudenken, die Tür auf.
«Wenn du mir jetzt auch noch aus der Jacke hilfst, dann haben meine Kollegen was zum Spekulieren», sagte Frauke Behrens schmunzelnd. Auch Steenhoff musste lächeln.
«Das können wir nicht verantworten. Die sollen schließlich ihren Exhibitionisten endlich fassen, von dem man seit Tagen immer wieder in der Zeitung liest.»
Steenhoff verabschiedete sich von Behrens und lief zu dem Gebäude der Staatsschützer, wo die Besprechung stattfinden sollte. Er fühlte sich voller Energie. Endlich hatten sie einen Anfang, eine Spur, der sie nachgehen konnten. Nichts lähmte eine Mordkommission mehr als eine Leiche, deren Identität im Dunkeln blieb. Ein unbekannter Täter und ein unbekanntes Opfer – das war der Stoff, aus dem die ungelösten Fälle im Aktenkeller des Präsidiums waren.
In 90 Prozent aller Morde brachte das Opfer die Ermittler irgendwann auf die Spur des Täters – sei es durch eine wie auch immer geartete Beziehung, die zwischen beiden im Vorfeld bestand, oder durch die Art, wie der Täter sein Opfer am Tatort hinterlassen hatte.
Alles, was über das bloße Töten eines Menschen hinausging, verriet erfahrenen Ermittlern oder Fallanalytikern etwas über den Typ Mensch, den sie suchten. Wurde das Gesicht der Leiche zugedeckt, eine Decke über den geschundenen Körper gezogen, die Blutspritzer an der Wand abgewischt, hatte der Täter am Tatort noch etwas getrunken oder gar der Katze des Opfers etwas zu fressen hingestellt – Details, die in der Vergangenheit oft genug den entscheidenden Hinweis gegeben hatten.
Steenhoff erinnerte sich an die Grundregel der Fallanalytiker: Das Verhalten eines Täters richtet sich nach seinen Bedürfnissen. Wenn also jemand einen Getöteten wusch, dann hatte er das Bedürfnis, dem Toten nahe zu sein und etwas wiedergutzumachen.
Aber Steenhoff wusste zugleich auch, dass der Mord an einer Prostituierten oft ähnlich schwer aufzuklären ist wie die Verbrechen an Taxifahrern. Beide unterhalten nur flüchtige, unverbindliche Kontakte zu Menschen und gehen unkritisch auf sie zu.
Aber immerhin war jetzt klar, wo sie mit ihren Ermittlungen beginnen mussten.
Während Steenhoff auf den Besprechungsraum zuging, fühlte er plötzlich eine grimmige Entschlossenheit in sich. Er dachte an den angeblichen Freund der geschändeten Birgit Lange, den Mann, der auch die Tote aus dem Bürgerpark auf dem Gewissen hatte. ‹Irgendwann – ,Sven‘ – machst du einen Fehler.›
Dann riss er mit einem Ruck die Tür zum Besprechungszimmer auf.
18
Steenhoff spürte sofort die leise Verärgerung seiner Kollegen, als er in den Raum trat.
«Es tut mir leid, dass ich euch habe warten lassen», begann er ohne Umschweife. «Aber es hat sich gelohnt. Wir wissen jetzt, dass die Tote Osteuropäerin war und in der Cuxhavener Straße auf den Strich ging.»
Die Beamten schauten ihn verwundert an. Petersen hatte ihnen gerade berichtet, dass es nach den Medienberichten noch keine neuen Hinweise auf die Identität der Toten gab.
Steenhoff berichtete kurz, was er mit Hilfe von Frauke Behrens herausgefunden hatte. Er spürte, dass die Information die Atmosphäre in dem Raum schlagartig veränderte. Statt nur die routinemäßigen Überprüfungen nach einem Kapitaldelikt abzuspulen, konnten sie nun gezielt ermitteln.
Die Befragung des Joggers hatte nichts Neues mehr ergeben. Weder hatte er einen Mann in der Nähe des Tatorts bemerkt noch sonstige Auffälligkeiten. Wie Steenhoff
Weitere Kostenlose Bücher