Gedankenmörder (German Edition)
machen.»
Steenhoff staunte über ihre Offenheit. Niemals hätte er damals, als er bei der Mordkommission neu anfing, einem Kollegen von seinen schlaflosen Nächten und seiner Unsicherheit berichtet, geschweige denn jemandem aus einer anderen Abteilung.
Schnell entspann sich eine leicht dahinfließende Unterhaltung. Im Gegensatz zu Petersen hatte er bei Frauke Behrens das Gefühl, sie verstand sofort, was er meinte. Sie wirkte erfrischend und unkompliziert. Fast hätte Steenhoff vergessen, warum er Frauke an diesem Morgen auf einen Kaffee eingeladen hatte.
«Ich möchte noch mal auf gestern zurückkommen», begann er unvermittelt. «Ich hatte den Eindruck, du warst dir unsicher, ob du die Frau schon mal gesehen hast.»
«Ja, das stimmt», sagte Frauke Behrens nachdenklich. «Ich habe am Abend noch länger darüber nachgedacht. Wahrscheinlich täusche ich mich, aber im ersten Moment dachte ich, ich hätte die Frau schon mal in der Cuxhavener Straße gesehen. Auf dem Straßenstrich.»
Mit einem Ruck stellte Steenhoff seine Tasse auf dem Tisch ab.
«Wann?»
«Wie gesagt, vielleicht irre ich mich. Das war noch zu den Zeiten, als ich auf dem Waller Revier war.»
Sie zögerte einen Moment.
«Wir sind da natürlich öfter Streife gefahren. Ich glaube, es war im Spätsommer vergangenen Jahres, als uns eines Abends eine junge Frau auffiel, die zusammengekauert auf einer Bank hockte. Eine andere Prostituierte versuchte sie notdürftig zu versorgen. Sie hatte ein blutverschmiertes Gesicht. Ihr Zuhälter hatte sie offenbar übel verprügelt. Aber sie hat uns nichts Genaues erzählt.»
Steenhoff fiel auf, dass die Beamtin anders als viele männliche Kollegen von einer «Prostituierten» und nicht von einer «Nutte» sprach.
«Versuch dich weiter zu erinnern», forderte Steenhoff sie auf.
«Wir haben sie damals ins Krankenhaus Mitte gefahren. Die Prostituierte war noch jung und sprach nur gebrochen Deutsch. Ihrem Akzent nach war sie Russin. Jedenfalls waren wir uns einig, dass sie aus einem osteuropäischen Land stammen musste.»
«Habt ihr denn nicht ihre Identität festgestellt?», fragte Steenhoff überrascht.
«Nein, sie ist gleich am nächsten Tag wieder aus dem Krankenhaus abgehauen und hat sowohl bei uns als auch im Krankenhaus falsche Personalien angegeben. Sie fürchtete wahrscheinlich, dass sie aus Deutschland abgeschoben werden würde. Wir vermuteten, dass sie illegal in Bremen anschaffen ging.»
Steenhoff dachte einen Moment darüber nach, was Behrens ihm erzählt hatte. In einer Viertelstunde war eine neue Besprechung der Mordkommission angesetzt. Wenn er sich beeilte, könnte er in einer knappen Stunde wieder zurück sein.
«Frauke, ich möchte, dass du mit mir in die Pathologie fährst. Jetzt.»
Die Frau sah Steenhoff überrascht an. Einen Augenblick fürchtete er, sie würde ablehnen. Aber dann nickte sie.
«Okay, ich muss nur noch kurz meinen Kollegen Bescheid sagen.»
Während die Beamtin mit ihrem Kommissariatsleiter sprach, rief Steenhoff bei Rüttger an. Er erklärte ihm kurz, warum die Besprechung um eine Dreiviertelstunde verschoben werden müsse, und bat ihn, die anderen zu informieren. Er hasste es, Termine und Verabredungen nicht einzuhalten, aber die Information, die er sich von dem Besuch mit seiner jungen Kollegin in der Pathologie erhoffte, könnte ihren Ermittlungen eine völlig neue Richtung geben.
Steenhoff ging so schnell zu seinem Auto, dass Behrens Mühe hatte mitzukommen.
Noch aus dem Auto kündigte er in der Pathologie ihren Besuch an. Ein etwa 50 -jähriger, kräftiger Mann nahm sie an der Tür des Instituts in Empfang. Er schien sich zu freuen, Steenhoff zu sehen, und bedachte auch die Beamtin mit einem freundlichen Blick.
«Na, Frank, wollt ihr unserer Unbekannten endlich einen Namen geben?»
«Mal sehn», antwortete Steenhoff knapp.
Der Präparator führte sie in einen komplett gefliesten Raum, öffnete eine der unteren Kühlkammern und zog die Unterlage, auf der die Tote lag, mit einem Ruck nach vorne. Als er das Tuch von ihrem Gesicht nahm, beobachtete Steenhoff gespannt seine Kollegin.
«Könnte ich sie bitte einmal ganz sehen?», bat sie den Assistenten. «Ich hab die verletzte Frau damals von der Bank hochgezogen und sie umfasst, um sie zum Wagen und später im Krankenhaus in die Notaufnahme zu bringen», erklärte sie Steenhoff. «Vielleicht erkenne ich ihre Statur wieder.»
Ohne eine Miene zu verziehen, zog der Präparator das Tuch ganz
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