Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
Vom Netzwerk:
Erinnerung schwach, die Ansichten falsch und überkommen sein. John schaute zum Haus hinauf. Er hatte eine große Nase und ein fliehendes Kinn. Sein blondes Haar wirkte ungewaschen.
    »Ich gehe nachsehen«, sagte er. Offenbar fühlte er sich in der Beschützerrolle nicht wohl. Er war ein Mann des Wortes, nicht der Tat. Nun ja, was sollte man von einem Verleger auch erwarten?
    »Nein«, widersprach Birdie, »wir warten auf die Polizei.«
    »Ich beeile mich«, sagte John. Er glaubte, Birdie hätte Angst und wollte nicht allein bleiben. Vielleicht stimmte das sogar. Er war verschwunden, noch bevor sie ihn aufhalten konnte. Hätte sie ihm sagen sollen, dass im Küchenfach über dem Kühlschrank ein Revolver lag? Aber John war zu schnell, schon hatte er die Verandatreppe erreicht. Im nächsten Moment stand er in der Tür.
    »Hallo?« Sie hörte ihn rufen. »Ist da jemand?«
    Dann war er im Haus verschwunden. Seltsamerweise hörte Birdie das Quietschen der Fliegentür diesmal nicht. Natürlich nicht. Das Geräusch stammte aus Birdies Kindheit und gehörte zum alten Haus, das inzwischen nur noch von Gästen genutzt wurde. Das neue Haupthaus war gut in Schuss, die Tür geölt und mit einem Hydraulik-Türschließer ausgestattet. Sie schloss mit einem sanften Zischen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Wie in ihrer Kindheit fühlte Birdie eine tiefe Leere und Unsicherheit. Was hatte sie gesehen und gehört? Was war nur mit ihr los?
    Ein paar Minuten später kam John auf die Veranda zurück.
    »Die Luft ist rein!«, rief er. »Ich schaue kurz im Gästehaus nach, und dann sehe ich mich auf der Insel um. Alles in Ordnung bei Ihnen?«
    Birdie winkte, weil sie ihrer Stimme nicht traute. John blickte in die Ferne und zeigte in Richtung Festland.
    »Da kommt die Polizei, Birdie«, rief er. »Keine Sorge.«
    Birdie drehte sich um und entdeckte ein weißes Motorboot mit blinkendem Rotlicht und flachem Verdeck, das in schnellem Tempo auf Heart Island zusteuerte. Birdies Haar war nass, in den Falten der Plastiktüten hatte sich das Regenwasser gesammelt. So war es mit dem Nieselregen, er machte einem weis, es regne eigentlich gar nicht … Birdie zog sich die Kapuze über den Kopf und verschränkte die Arme.
    Als das Boot näher kam, entdeckte sie den alten Roger Murphy am Ruder. Sie erschauderte vor Widerwillen. Roger war ganz in der Nähe auf dem Festland aufgewachsen, hatte aber mit den Sommergästen nicht viel gemein. Sie kannte ihn seit Ewigkeiten. Angeblich hatte er bei der Polizei Karriere gemacht und bekleidete eine hohe Position, aber Birdie sah in ihm immer noch den jungen Hilfsarbeiter vom Yachthafen, der zusammen mit seinem Vater Boote belud. Wahrscheinlich war er erpicht darauf gewesen, nach Heart Island hinauszufahren. Das waren sie alle. Weil der kleine Anleger voll ausgelastet war, machte Roger an John Cross’ Boot fest.
    »Birdie Heart«, sagte er, »lang ist’s her!«
    Er kletterte in Johns Boot hinüber. Birdie reichte ihm die Hand, um ihm heraufzuhelfen. Die Jahre hatten es nicht gut mit Roger gemeint; er hatte einen riesigen Schmerbauch und ein tief zerfurchtes Gesicht. Seine teigige Haut verriet, dass er sich nicht sonderlich gesund ernährte.
    Birdie Heart . So nannte sie sich seit Ewigkeiten nicht mehr. Was für einen albernen Namen ihre Mutter ihr gegeben hatte! Was hatte die Frau damit nur bezwecken wollen? Ein süßer, hübscher Name für ein süßes, hübsches Kind. Nur ihre Mutter hatte Birdie süß genannt, und nur Joe hatte sie hübsch gefunden. Elegant, atemberaubend, attraktiv … das hatte sie oft zu hören bekommen. Aber hübsch im eigentlichen Sinne war sie nicht, im Gegensatz zu Katherine, Chelsea oder Caroline. Aber das störte Birdie nicht. Obwohl die Leute heutzutage alles Mögliche anstellten, um hübsch zu sein, konnte man sich davon nichts kaufen.
    »Inzwischen heiße ich Birdie Burke«, antwortete sie und bemühte sich, ein freundliches Gesicht zu machen. Joe kritisierte sie immer dafür, dass ihr nett gemeintes Lächeln höhnisch wirkte. Warum siehst du die Leute so abschätzig an? Wozu das höhnische Grinsen? Birdie verstand nicht, was er meinte.
    »Ja, natürlich.« Roger räusperte sich und schaute zum Haus hinauf. »Ihr Nachbar John Cross hat gesagt, da wäre ein Fremder auf Ihrer Insel, ein Eindringling?«
    Im selben Moment tauchte John zwischen den Bäumen auf. Er lief zum Anleger herunter. Die Männer begrüßten sich per Handschlag.
    »Ich habe beide Häuser, die Hütte und die ganze

Weitere Kostenlose Bücher